Schon vor der Eingliederung der Hilarius-Papyrushandschrift in den Bestand der Hofbibliothek, erregte der Band die Aufmerksamkeit eines rastlosen Forschers, dessen handschriftlichen Werke sich heute in der ÖNB befinden: Josef Benedikt Heyrenbach (1738-1779).
Heyrenbach[1], ein ehemaliger Jesuit und 1173-1179 Mitarbeiter der Hofbibliothek, war vielseitig interessiert. Er beschäftigte sich mit Handschriften ebenso wie mit Münzen, Landes- und Staatsgeschichte und Diplomatik[2]. Für die Hofbibliothek verfasste er einen Katalog der Handschriften der alten Univeristätsbibliothek[3], während er gleichzeitig für die Katalogisierung des kaiserlichen Münzkabinetts angefordert wurde. Mit nur 40 Jahren starb er studiis diu noctuque absque ulla moderatione incumbens[4] angeblich an Überarbeitung. Mit der Hilarius-Handschrift beschäftigte er sich in zwei seiner hinterlassenen handschriftlichen Werke ausführlicher. Von besonderem Interesse für die Forschung ist seine Abschrift eines Großteils des Textes, die Rücksicht auf das originale Layout nimmt und auch die Glossen ausweist (ÖNB Cod. 9799). Sie bietet an einigen heute stärker beschädigten Stellen eine Ergänzung des Originals.
Weniger beachtet wurde bisher seine paläographische Beschäftigung mit der Handschrift. In ÖNB Cod. 9492 sind Schriftproben aus mehreren Jahrhunderten versammelt, die Heyrenbach aus verschiedenen, noch nicht vollständig identifizierten Vorlagen kopierte[5]. Besonders ausführlich sind seine Aufzeichnungen zu Beispielen der jüngeren römischen Kursive. Er ordnete dafür das gesamte Alphabet sowie Buchstabenkombinationen/Ligaturen übersichtlich in Tabellen an. Vereinzelt versucht er sich auch in der Anwendung der Schriften, wie die Einträge carta langobardica und carta bibliothecae vindobonensis auf fol. 2v der Handschrift zeigen[6].
In diesem Konvolut findet sich als fol. 89-119 ein Heft im Quartformat, das ausschließlich Schriftproben aus der Hilarius-Handschrift enthält, die damals noch ein Sammelband war (siehe diesen Blogeintrag). Zunächst kopierte er einzelne Buchstaben, Buchstabenkombinationen und Abkürzungen aus dem Haupttext in Halbunziale. Sorgfältig vermerkte er dabei die leichten Variationen der Einzelformen, in dem er die Zeichen aus mehreren Stellen in der Handschrift übertrug. Er nahm so z.B. 20 Exemplare des Buchstaben L auf, 21 von T und zahlreiche Varianten von Sonderzeichen.
Auf fol. 102 beginnen Abschriften von Überschriften, Marginalien und Nachträge im Codex in verschiedenen Schriftarten. Bemerkenswert sind dabei zum Beispiel die berühmten Einträge des Korrektors Dulcitius auf fol. 105.
Heyrenbachs Beobachtungsgabe zeigen die Kopien der Falzstreifen der Handschrift auf fol. 102, die Michael Denis bei seine Beschreibung nur wenig später offensichtlich übersah. Heyrenbach malte buchstabengetreu einige Ausschnitte aus der Ulpian-Kopie aus dem 5. Jh. ab (ÖNB Cod. 1), die zum Teil damals noch etwas besser lesbar waren.
Eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Handschrift zwischen dem 18. und 21. Jahrhundert lässt sich auch anhand der letzten Blätter in Heyrenbachs Konvolut feststellen. Hier deutet er an manchen Stellen die Bruchkanten der Papyrusblätter an. Die Verluste an den Rändern, an denen der Papyrus leicht abbrechen konnte, werden besonders auf fol. 119r deutlich, wo ein späterer Nachtrag in die Handschrift abgebildet ist. Teile der Buchstaben der ersten erhaltenen Zeilen waren zu Heyrenbachs Zeiten noch vollständiger, als dies heute der Fall ist. Die dunklen Stellen in der Handschrift stammen von einer Restaurierung in den 1970er Jahren[7].
Doch nicht nur die Analyse einzelner Buchstaben oder kurzer Textteile interessierte Heyrenbach. Ab fol. 113 kopierte er drei vollständige Seiten aus den zwei Texten der Handschrift, De Trinitate und Contra Arianos[8]. Dies erlaubte ihm, sowohl den Gesamteindruck der Schrift, als auch das Layout der Blätter zu übertragen und so ein Faksimile zu schaffen.
Es bleibt die Frage, wozu er diese ganzseitigen Abschriften anfertigte. Im Konvolut finden sich weitere vollständige paläographische Kopien, allerdings nicht von Handschriften sondern von urkundlichem Material. Man würde in diesem Zusammenhang am ehesten an Arbeitsmaterialien für seine hilfswissenschaftlichen Forschungen denken. Ein kleines Indiz, das vielleicht auf einen anderen Hintergrund hinweist, liefert das oben schon erwähnte fol. 119. Über der Kopie des Nachtrags in der Hilariushandschrift steht sorgfältig ausgeführt „tabula XVI“. Haben wir hier also die Vorlagen für eine angedachte Publikation vor uns? Ohne weitere Hinweise von Heyrenbachs Hand, lässt sich dies wohl nicht eindeutig klären.
[1] Josef Stummvoll, Geschichte der österreichischen Nationalbibliothek, Erster Teil: Die Hofbibliothek 1368–1922 (Wien 1968) 259f.
[2] 1774 erhielt er die Lehrbefugnis für Diplomatik an der Universität Wien und war damit der erste Lehrende für historische Hilfswissenschaften (Stummvoll (1968) 259-60).
[3] ÖNB Cod. ser. n. 2194-2196
[4] Stummvoll (1968) 259 mit Literatur, ebenso Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich Bd. 8 (1962) 463; Zitat aus Johann Nepomumuk Stoeger, Scriptores provinciae Austriacae societatis Jesu (Wien 1856) 139.
[5] Die Blätter von ganz verschiedenen Formaten kamen wohl ungebunden in einem Umschlag in die Bibliothek, wo sie mit einem Einband versehen wurden. Dabei kam es zu Fehlern in der Blattfolge.
[6] Diese Einträge geben wohl Hinweise auf die Quellen der Schriftproben.
[7] Michael Fackelmann, Ein neuer Weg zur Wiederherstellung von Papyrus-Kodices: Die Restaurierung des Wiener Hilarius. Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 13 (1974) 187–194.
[8] Nicht immer sind jedoch die Marginalien vollständig übertragen.