Texttransfer und Buchaustausch – Netzwerke monastischer Handschriftenproduktion am Beispiel des Zisterzienserstifts Baumgartenberg in Oberösterreich

Im Mittelpunkt meines hier skizzierten Dissertationsprojekts[1] stehen die Handschriftenproduktion und der Bucherwerb des ehemaligen Zisterzienserstiftes Baumgartenberg (OÖ) im 12. Jahrhundert und seine Einbindung in  regionale und ordensspezifische Netzwerke. Durch ein Zusammenspiel von überlieferungsgeschichtlichen, paläographischen, kodikologischen und kunsthistorischen Methoden sollen Einblicke in die Interaktion ostösterreichischer Klöster im Hochmittelalter gegeben werden.

Die Baumgartenberger Handschriften

Das oberösterreichische Stift wurde 1141 als zweites Tochterkloster, nach Stift Zwettl (1138), von Heiligenkreuz gegründet und gehört damit der Filiation von Morimond an. Im Zuge der Aufhebung unter Joseph II. wurde der Baumgartenberger Bibliotheksbestand in die Studienbibliothek in Linz (heute OÖ Landesbibliothek) verbracht. Aus dem Gesamtbestand wählte die Hofbibliothek (heute Österreichische Nationalbibliothek) Handschriften und Drucke aus, die nach Wien überführt werden mussten. Der Großteil der etwa 70 bisher bekannten mittelalterlichen Baumgartenberger Handschriften teilt sich noch heute auf diese beiden Bibliotheken auf. Zur Abgrenzung der frühesten Handschriften, die die die Grundlagen der Untersuchung bilden, dient eine Bücherliste aus der Zeit um 1200, die den damaligen Bestand der Bibliothek von 96 Bänden, unter ihnen 71 nicht-liturgische, wiedergibt (MBKOE 5 1971).  Von diesen lassen sich nach derzeitigem Stand der Forschung noch 33 nachweisen.

Schriftproduktion und Bibliothek von Baumgartenberg können nicht isoliert betrachtet werden. Für jede Handschrift, die im Stift kopiert wurde, ist eine Vorlage nötig, jeder Zuwachs von außen hat einen Herkunftsort. Auf welche Netzwerke konnte Baumgartenberg zurückgreifen, um sich die benötigten Texte zu verschaffen?

Woher kommen die Handschriften und Schreiber?

Im Zisterzienserorden mit seinem Filiationsystem können bei der Neugründung eines Klosters und der Ausstattung der dortigen Bibliothek sowohl das Mutterkloster als auch schon existierende Tochterklöster eine wichtige Rolle spielen. So hat etwa Bellevaux, die erste Tochtergründung von Morimond, der Neugründung Heiligenkreuz ihre vierbändige Abschrift der Moralia Gregors des Großen übergeben (HAIDINGER-LACKNER 2015). Auch für Baumgartenberg lässt sich mindestens in einem Fall ein derartiger Übertrag nachweisen: ÖNB Cod. 726 stammt sowohl in Schrift als auch Ausstattung aus dem Skriptorium Heiligenkreuz.

Häufiger sind jedoch die Beispiele, bei denen die Handschriften nicht eindeutig einem Skriptorium zugeordnet werden können. So finden sich etwa in ÖNB Cod. 706 Schreiberhände, die in mehreren Heiligenkreuzer Handschriften auftreten, zusammen mit einem Schreiber, der in einer weiteren Baumgartenberger Handschrift nachweisbar ist, und zwei sonst unbekannten Händen. Könnte diese Handschrift unter Mithilfe Heiligenkreuzer Schreiber in Baumgartenberg entstanden sein? Einen Hinweis darauf bietet der Text. Diese Baumgartenberger Kopie der Augustinus zugeschriebenen Sammlung De verbis domini kann einer oberösterreichischen Überlieferungsgruppe zugeordnet werden (DE CONINCK 2006). Eine Überprüfung des Heiligenkreuzer Exemplars Heiligenkreuz Cod. 75 zeigt, dass dieser Codex einem anderen Ast des Stemmas zuzuordnen ist und kaum die Vorlage der Baumgartenberger Handschrift sein kann. Bei einer Entstehung von ÖNB Cod. 706 in Heiligenkreuz wäre anzunehmen, dass das im Stift vorhandene Exemplar als Vorlage verwendet worden wäre.

Dieses Beispiel zeigt den Mehrwert, den eine Verbindung aus paläographischer und philologischer Untersuchung zur Erforschung von Überlieferungswegen bringt. Problematisch ist jedoch für diesen Ansatz die geringe Anzahl an Untersuchungen zu österreichischer Skriptorien im Hochmittelalter. Zwar leistet Alois Haidinger auf seiner Website www.scriptoria.at bahnbrechende Arbeit, bis zu einer flächendeckenden Aufarbeitung aller wichtigen Zentren der Buchproduktion werden jedoch noch Jahrzehnte vergehen. Gelingt daher die Schriftzuweisung (noch) nicht, müssen, neben der allenfalls vorhandenen Ausstattung, die in vielen Fällen bereits untersucht wurde[2], vor allem die Texte Hinweise zu Abhängigkeiten liefern.

Woher kommen die Texte?

Lange Zeit wurde eine absolute Zentralisierung aller Zisterzienserklöster vor allem in liturgischen Bereich durch die Vorgabe eines Normexemplars angenommen. In diesem Zusammenhang ging man auch von einer Textüberlieferung entlang der Filiationslinien aus. Für manche Texte und Überlieferungsgruppen ist dies tatsächlich nachweisbar (siehe etwa LECLERCQ 1966). Für Ostösterreich zeigen bisherige Untersuchungen an Einzelbeispiel aber auch die Bedeutung des lokalen Austausches zwischen benachbarten Klöstern unterschiedlicher Orden. Auf ein besonders illustratives Beispiel für die Verbreitungswege eines neuen Textes weist Dominique Poirel für den Kommentar Super Hierarchiam Dionisii von Hugo von St. Victor hin (zuletzt POIREL 2015). Deutlich zeigt sich ein Weg des Textes über die Zisterzienser aus Frankreich nach Heiligenkreuz (siehe dazu KASKA 2014), von dort in die niederösterreichischen Klöster Göttweig, Zwettl und Klosterneuburg und über eine verlorene Zwischenstufe dann in die steirischen Klöster Admont, Seckau und Rein. Der Text kam also entlang der zisterziensischen Filiationslinie nach Österreich, um sich dort entlang lokaler Routen ohne Rücksicht auf Ordensgrenzen zu verbreiten. Generell sind die Texte der Frühscholastik und besonders die Werke Hugos von St. Victor lohnende Untersuchungsobjekte für die Textausbreitung im österreichischen Raum, wie Christoph Egger bereits mehrfach gezeigt hat (EGGER 2009, 2014). Aus der  Baumgartenberger Bibliothek bietet sich ein anderer, weit seltener kopierter Text für die Untersuchung der Netzwerke in Österreich an: die Übersetzung des Cerbanus von Maximus‘ Confessor De caritate. Entstanden in Ungarn in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, verbreitete sich der Text fast ausschließlich in Österreich und seinem Grenzland und vor allem in den Jahrzehnten nach seiner Entstehung. Auch hier lässt sich eine steirische Überlieferungsgruppe abgrenzen. Die Ausbreitung in den nieder- und oberösterreichischen Klöstern ist Thema meines Vortrags bei Medialatinitas 2017 –  International Medieval Latin Congress im September 2017. Als Erweiterung zu den philologischen Untersuchungen werde ich dabei auch einen weiterer Aspekt behandeln, der Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Handschriften und damit auf Netzwerke geben kann: der Überlieferungszusammenhang, d.h. Ähnlichkeiten in der Zusammenstellung kleinerer Texte zu einer Handschrift.

Erste Hinweise durch Textzusammenstellungen

Für den Baumgartenberger Bestand bietet es sich an, einerseits allgemeine Textzusammenstellungen zu untersuchen, andererseits genauer auf Legendare einzugehen, die unter den erhaltenen Bänden relativ stark vertreten sind.

Neben der eben erwähnten Cerbanusübersetzung, die häufig zusammen mit so unterschiedlichen Texten wie Notker Balbulus De viris illustribus oder Cassiodorus De anima überliefert wird, ist der bereits erwähnte ÖNB Cod. 726 ein besonders augenfälliges Beispiel für die Überlieferung ganzer Textzusammenstellungen. Er umfasst viele kleinere Werke des (Pseudo)Hieronymus ebenso, wie Exzerpte aus Eucherius von Lyon oder Isidor. In fast identischer Form findet sich diese Sammlung zur selben Zeit in vielen anderen österreichischen Klöstern wie Heiligenkreuz, Admont oder Göttweig und wird noch bis ins 15. Jahrhundert kopiert.

Bei Legendaren kommt potentiell zur gemeinsamen Textüberlieferung noch der Aspekt der Verehrung bestimmter Heiliger hinzu, die einen Hinweis auf das Zugehören von Baumgartenberg zu monastischen Netzwerken geben kann. In textlicher Hinsicht ist aus der germanistischen Forschung hinlänglich bekannt, dass OÖLB Cod. 473 inhaltlich exakt einem Teil von Cod. 49 des Baumgartenberger Schwesterklosters Zwettl entspricht. Erste Untersuchungen der Zusammenstellung im Rahmen der Katalogisierungsarbeiten in Heiligenkreuz durch Alois Haidinger und Franz Lackner weisen zusätzlich auf die Entwicklung des heutigen Konvolutes aus kleineren Sammlungen hin. Noch ganz am Anfang steht meine Beschäftigung mit OÖLB Cod. 422, einem weiteren, umfangreichen Legendar aus Baumgartenberg. Der Band überliefert mit der Vita und den Miracula des heiligen Koloman lokale Texte ebenso wie Texte zu Heiligen, deren Verehrungszentren in keiner direkten Verbindung zu Baumgartenberg zu stehen scheinen. Für eine eingehende Untersuchung der Überlieferung von Vitae und Passiones im Stift allgemein, kann zu den fünf in Linz aufbewahrten, einschlägigen Handschriften vielleicht auch Cod. 189 des Schottenstiftes hinzugezogen werden, der sicher in Baumgartenberg entstanden ist.

Die Indizien aller eben genannten Untersuchungsmethoden zusammen mit den Erkenntnissen aus der Kunstgeschichte werden in meiner Arbeit zusammengetragen, um den frühen Bibliotheksaufbau von Baumgartenberg zu verstehen. Gleichzeitig soll die Arbeit erste Einblicke in Handschriftentransfer und Buchaustausch zwischen österreichischen Klöstern des 12. Jahrhunderts und damit in die Verbreitung von Texten und Ideen geben.

Literatur

DE CONINCK 2006: La tradition manuscrite du recueil De Verbis Domini jusqu’au XIIe siècle. Prolégomènes à une édition critique des Sermones ad populum d’Augustin d’Hippone sur les évangiles (serm. 51 sqq.). With an English summary and a new critical edition of serm. 52, 71 and 112, Hg. Luc De Coninck, B. Coppieters ‚t Wallant, R. Demeulenaere (Turnhout 2006).

EGGER 2009: Christoph Egger, Viktorinische Exegese in Süddeutschland und Österreich im 12. und 13. Jahrhundert, in: Bibel und Exegese in der Abtei Saint-Victor zu Paris. Form und Funktion eines Grundtextes im europäischen Rahmen, Hg. Rainer Berndt (Corpus Victorinum, Instrumenta 3, Münster 2009) 539-555.

EGGER 2014: Christoph Egger, Neue Überlieferungen theologischer Texte der Frühscholastik in österreichischen Bibliotheken (Schule von Laon, Abaelard), in: MIÖG 122 (2014) 99-106.

HAIDINGER-LACKNER 2015: Alois Haidinger – Franz Lackner, Die Bibliothek und das Skriptorium des Stiftes Heiligenkreuz unter Abt Gottschalk (1134/1147) (Codices Manuscripti et Impressi, Supplementum 11, Purkersdorf 2015).

LECLERCQ 1966: Jean Leclercq, Les Sermons de Bernard sur le psaume „Qui habitat“. In: Recueil d’études sur saint Bernard et ses écrits II, Hg. Jean Leclercq (Rom 1966) 3-18.

KASKA 2014: Katharina Kaska, Untersuchungen zum mittelalterlichen Buch- und Bibliothekswesen im Zisterzienserstift Heiligenkreuz (ungedr. Masterarbeit, Universität Wien, Wien 2014). Online

MBKOE 5 1971: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Österreichs Bd. 5: Oberösterreich, Hg. Herbert Paulhart (Wien-Köln-Graz 1971).

POIREL 2015: Hugonis de Sancto Victore Super Ierarchiam Dionisii, Hg. Dominique Poirel (CCCM 178,  Turnhout (2015).

[1] Das Projekt wurde zwischen 2013 und 2015 durch das UniDocs Förderprogramm der Universität Wien gefördert

[2] Für Baumgartenberg sei hier etwa auf die bereits erschienenen Kataloge illuminierter Handschriften für die Bände in der ÖNB verwiesen, sowie auf die laufende Aufarbeitung der illuminierten Handschriften in der OÖLB durch Katharina Hranitzky.

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