Aggsbach / Göttweig, und Admont (Beobachtungen aus Auktionskatalogen III)

Am 25. Oktober 2022 bietet das Auktionshaus Reiss & Sohn (Königstein im Taunus) im Rahmen seiner 211. Auktion gleich zwei Handschriften mit prominenter österreichischer Herkunft an. Los 1 ist eine Vollbibel des 13. Jahrhunderts, die aus dem Besitz der Kartause Aggsbach stammt.  Freilich ist die Handschrift um einiges älter als die 1380 gestiftete Kartause; einem in der Handschrift enthaltenen Vermerk zufolge, der im Katalog leider nur zitiert wird aber nicht abgebildet ist, ist der Codex emptus per dominum Johannem priorem a quodam sacerdote In Ytalia (f. 297v). Ob dieser Johannes mit dem zunächst Mauerbacher Mönch und dann ersten Aggsbacher Prior Johannes Fleischesser zu identifizieren ist oder ob es sich um einen späteren Prior (etwa Johannes Span de Ottlistetn, um 1424, erwähnt in Wien, ÖNB Cod. 1727 und Cod. 4633) dieses Namens handelt, läßt sich aufgrund der Katalogangaben nicht verifizieren. Eine eindeutige Identifikation des Codex mit einem Eintrag im Aggsbacher Bibliothekskatalog aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist nicht möglich. In Frage kämen die Bände C 7 / 1 und C 7 / 2, gleichlautend beschrieben als Item biblia integra cum exposicione terminorum biblie in fine[1] – falls die laut Auktionskatalog die Handschrift beschließenden Teile „der verbreitete Index nominum Hebraicorum sowie … ein alphabetisches Glossar an, anscheinend basierend auf dem Liber qui dicitur Angelus“ der im mittelalterlichen Katalog genannten Expositio terminorum biblie entsprechen. Natürlich ist auch die Möglichkeit zu bedenken, daß die Handschrift erst nach der Abfassung des Katalogs Teil der Aggsbacher Bibliothek geworden ist. Auf dem unteren Rand des zweiten Blattes der Handschrift findet sich ein von einer Hand des wohl frühen 18. Jahrhunderts geschriebener Eintrag: Inter theologos.

Analoge Einträge sind in einer Reihe von Aggsbacher Handschriften zu finden, die heute in der österreichischen Nationalbibliothek verwahrt werden: Inter theologos (Cod. 597, Cod. 1491); Inter Asceticos (Cod. 760, Cod. 4403); Inter Historicos (Cod. 1735, Cod. 5308); Inter Miscellaneos (Cod. 1663, Cod. 3178, Cod. 3473, Cod. 4067, Cod. 4761); Inter philosophos (Cod. 2357); Inter sermones (Cod. 4734). Vielleicht lassen diese Einträge bibliothekarische Ordnungsbemühungen in der Barockzeit erkennen. Freilich wäre es verfehlt, dazu die auf dem Rücken der Handschrift sichtbare Signatur „K 50“ in Beziehung zu setzen, deren Schrift sicher in die Neuzeit zu datieren ist, denn diese Signatur hat nichts mit Aggsbach zu tun sondern weist auf die Geschichte der Handschrift nach der Aufhebung der Kartause 1782 unter Joseph II. hin.

Die Bibliothek wurde durch die Aufhebung zerstreut, wobei eine größere Anzahl von Handschriften in die Wiener Hofbibliothek, heute Österreichische Nationalbibliothek gelangte; zahlreiche Drucke kamen in die Wiener Universitätsbibliothek. Weitere Handschriften und Bücher kamen in andere Bibliotheken – etwa Budapest, Országos Széchényi Könyvtár, Cod. 233 und Cod. 282; andere in private Hände – wie etwa jener Codex, der 2021 vom Wiener Antiquariat Inlibris angeboten wurde; die Papierhandschrift aus dem 15. Jahrhundert enthält die dem Robert Kilwardby zugeschriebene Tabula zu Augustinus, De civitate Dei, und scheint inzwischen verkauft worden zu sein. Eine andere und besonders wichtige Aggsbacher Handschrift, nämlich der Bibliothekskatalog aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, gelangte 1913 „aus einer österreichischen Sammlung“ über das Auktionshaus C. G. Boerner in Leipzig in die Bibliothek Eduard Langer in Braunau in Böhmen und wurde 1934 von H. P. Kraus an die Österreichische Nationalbibliothek verkauft, wo sie heute als Cod. Ser. nov. 2583 aufgestellt ist.

Einige Handschriften gelangten in den Besitz von Stift Göttweig – und eine dieser Handschriften ist nun genau der Codex, der jetzt von Reiss & Sohn zur Versteigerung angeboten wird. Die Signatur „K 50“ findet ihre Entsprechung im Göttweiger Handschriftenkatalog des 18. Jahrhunderts (Cod. 962a (rot) / 878 (schwarz)), in dem der Codex auf f. 167v beschrieben ist. In der Göttweiger Bibliothek trug er später die Signatur Cod. 114 (rot) 61 (schwarz), im Katalog des P. Vinzenz Werl (1844) (Bd. 1 p. 192f.) erhielt er eine ausführliche Beschreibung.[2] Im Zuge einer Inventarisierung der Göttweiger Kunstgegenstände im Jänner 1939 am Vorabend der Aufhebung des Stiftes durch die Nazis wurde das Fehlen der Handschrift vermerkt, 1952 auch im Katalog von Vinzenz Werl eingetragen (p. 193). Vermutlich ist sie mit anderen Büchern der Göttweiger Bibliothek in der Zwischenkriegszeit verkauft worden.[3] „Seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts“, so der Auktionskatalog, „befindet sie sich in einer deutschen Privatsammlung.“

Los 4 der Auktion ist der ehemalige Cod. 496 der Stiftsbibliothek Admont. Es ist keineswegs unwichtig, auf die bequem online zugängliche Beschreibung dieser Handschrift im Katalog der Admonter Handschriften von Jakob Wichner (1888, p. 208f.) und auf die darauf aufbauende Behandlung des Codex in Andrea Rzihaceks Buch über die medizinischen Handschriften des Klosters Admont[4] hinzuweisen, da sich auf diese Weise eine durchaus nicht unbedeutende Unzulänglichkeit in der Katalogbeschreibung von Reiss & Sohn offenbart. Der Codex befindet sich in seinem mittelalterlichen Einband, der – wie manche Admonter Handschriften – auf dem mit Streicheisenlinien verzierten Vorderdeckel von einer Hand des 15. Jahrhunderts mit Tinte eine knappe Inhaltsangabe trägt: Versus Egidii de vrina.

Auf dem Rücken ist das wohlbekannte Papierschild mit der Admonter Bibliothekssignatur 496 aufgeklebt. Die Handschrift umfaßt heute 24 Blätter und enthält die Versus de urinis des Gilles de Corbeil mit einem Kommentar des Gilbertus Anglicus (eine eingehende Beschreibung und Erläuterung des Inhaltes mit weiterführenden Literaturangaben ist im gerade erwähnten Buch von Andrea Rzihacek zu finden). Ein Blick auf das Ende des Buchblockes und den Hinterdeckelspiegel macht allerdings stutzig – könnte es sein, daß hier etwas fehlt?

Und in der Tat – nach der Beschreibung von Jakob Wichner umfaßte die Handschrift 39 Blätter, auf die Versus de urinis folgte f. 25r ein Traktat des Urso von Salerno, De effectibus qualitatum; daran schloß eine Version des unter dem Namen Trotula bekannten frauenmedizinischen Kompendiums an (wohl in einer verkürzten Form); und schließlich folgte mit Maurus von Salerno, De urinis ein weiterer Harntraktat. Alle diese Texte fehlen in der hier angebotenen Handschrift, die daher nicht dem Zustand entspricht, in dem sie bis 1934 im Stift Admont verwahrt wurde. In diesem Jahr wurde der Codex an das Züricher Antiquariat L’Art ancien, damals unter der Leitung von Arthur Späth, verkauft. Die weitere Geschichte des Codex und insbesondere seiner seither stattgefunden Zerteilung, ist derzeit unbekannt. „Seit den 50iger Jahren des 20. Jahrhunderts“, so die Katalogbeschreibung von Reiss & Sohn, befand sich die Handschrift „in einer deutschen Privatsammlung“ – nach dem am Schluß des Katalogs gedruckten Einbringerverzeichnis vermutlich die selbe, die auch die als Los 1 angebotener Aggsbacher Handschrift enthielt.

[1] Mittelalterliche Bibliothekskataloge Österreichs. Bd. 1: Niederösterreich. Bearbeitet von Theodor Gottlieb (Wien 1915) [Digitalisat] 565 Z. 22f. und 24f.

[2] Die Handschrift ist auch erwähnt in Christine Glaßner, Abgewanderte Handschriften aus der Göttweiger Bibliothek, in: Vom Schreiben und Sammeln. Einblicke in die Göttweiger Bibliotheksgeschichte. Ed. Astrid Breith, unter Mitarbeit von Nikolaus Czifra, Christine Glaßner und Magdalena Lichtenwagner (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 74, St. Pölten 2021) 169-194, hier 185f., wo die Beschreibung von Werl abgedruckt ist.

[3] Bernhard Rameder, Stift Göttweig zwischen den Kriegen: Verkauf und Erwerb von Kulturgütern in Notzeiten, in: „dass die Codices finanziell unproduktiv im Archiv des Stiftes liegen.“ Bücherverkäufe österreichischer Klöster in der Zwischenkriegszeit. Ed. Katharina Kaska und Christoph Egger (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 77, Wien 2022) 97-116, hier 113; Ders., Göttweiger Bücher im Salzberg. Die Bergung der Göttweiger Handschriften während des Zweiten Weltkrieges im Salzbergwerk Altaussee, in: Vom Schreiben und Sammeln (wie Anm. 2) 195-215, hier 205.

[4] Andrea Rzihacek, Medizinische Wissenschaftspflege im Benediktinerkloster Admont bis 1500 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 46, Wien / München 124f.

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Eine Antwort zu Aggsbach / Göttweig, und Admont (Beobachtungen aus Auktionskatalogen III)

  1. As Christoph Egger’s description indicates, Lot 4 was formerly MS 496 of the Stiftsbibliothek Admont. It was included in the catalogue of Peter de Arbon (1380) [MBKÖ III, 58, 41-42] and sold in 1934 to the bookseller Spaeth, Zürich, who was then the director of Antiquariat l’Art Ancien (Zurich); the manuscript was offered in their catalogue, Early Science Literature, Geography – Catalogue 19 (1936) as no. 1 (fol. 1-24) and item 22 (fol. 25-39). Folios 25-39 were sold in March 1936 to Vittorio Putti [Tammaro de Marinis, Catalogo della Raccolta Vittorio Putti, Bologna: Arnaldo Forni Editore, 1963, MS 16 (pp. 6-7)]; folios 1-24 did not sell and were offered again in Bibliotheca Medica – Catalogue 21 (1938) no. 7. In the stock copies of the catalogues, both are annotated “zurück an Domizlaff 10/1040” and “zurück an H.D. X/40,” respectively, suggesting that Helmuth Domizlaff had originally made the Admont purchases possible and when they failed to sell on consignment before he was called up during the war, they were returned to him. His wife, Irma, managed the business during the war years, and until 1980 he and his wife lived in a large apartment at Martiusstrasse 5, Schwabing, in which three rooms were filled to the ceiling with archives, a reference library and his stock. Domizlaff was a ‘marchand amateur’ – more a collector than a dealer – who uncharacteristically produced no catalogues and sold privately; no trace of the manuscript had been found until it appeared on the Reiss & Sohn website. As the auction description indicates that the manuscript had been held in a private collection since the 1950s, it is possible that Domizlaff sold the manuscript during this period to the collector.

    Assistance with provenance provided by Robin Halwas (London), Sarah Sherman Clark (Getty Research Institute) and Christoph Egger (Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien).

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