Päpste unter dem Hammer (Beobachtungen aus Auktions- und Antiquariatskatalogen II)

In den am 1. August 1373 von Papst Gregor XI. herausgegebenen Konstitutionen für das Kapitel der Lateranbasilika in Rom wird die Verwahrung der Privilegien und anderen Urkunden folgendermaßen geregelt:

[II, 30] Et privilegia, statuta et instrumenta sine licentia domini cardinalis, vel eo absente eius vicarii et capituli, nullus temptet de loco ubi sunt reposita removere, nisi pro evidenti causa ipisus ecclesie vel alicuius deservientium in eadem. Et tunc manibus vicarii seu camerariorum infra tempus per vicarium et cameriarios prefigendum debeat ad ipsos camerarios reportare. Contrarium faciens excommunicationis sententia se noverit innodatum, a qua absolvi nequeat nisi illa reportet primitus ad sacristie locum unde receperat[1].

Etwas freier übersetzt: Die Privilegien, Kapitelstatuten und anderen Urkunden darf niemand ohne Erlaubnis des Erzpriesters der Lateranbasilika oder, wenn dieser abwesend ist, seines Vikars und des Kapitels, aus ihrem Aufbewahrungsort entfernen – ausgenommen, eine zwingende Notwendigkeit erforderte dies; aber auch dann sind die entlehnten Dokumente innerhalb einer festzusetzenden Frist an die zuständigen Amtsträger zurückzustellen. Wer zuwiderhandelt, verfällt der Exkommunikation, von der er nur gelöst werden kann, wenn er zuvor die Dokumente zurückbringt.

Über sehr lange Zeit hat man im Archiv des Laterankapitels diese Regelung getreu beherzigt – das Archiv war auch im 19. und 20. Jahrhundert notorisch unzugänglich und schwierig zu benützen: so schreibt der deutsche Historiker Julius von Pflugk-Harttung in seinem Iter Italicum[2], daß ihm zwar auf Empfehlung des Erzpriesters der Lateranbasilika Kardinal Chigi der Zutritt zum Archiv gestattet wurde, aber: „Mich [sic] wurde versichert, dass alle Urkunden in Kisten verpackt und deshalb unzugänglich, päpstliche Originale meiner Zeit, so weit bekannt, nicht vorhanden seien.“ Daß beides ein Vorwand war, erfuhr bald darauf Paul Fridolin Kehr, als er im Zuge der Vorarbeiten für die Italia pontificia das Archiv besuchte – versehen mit einer Empfehlung des Präfekten der Vatikanischen Bibliothek Franz Ehrle und vermittelt durch einen Kanoniker von St. Peter: „Der Archivar Mons. Basilio Pompili erwies mir die größte Freundlichkeit“ und Kehr bekam sowohl Archivverzeichnisse als auch Originalurkunden und Kopialbücher vorgelegt. So konnte er im zweiten seiner Berichte über Papsturkunden in Rom auch ausführlich die Bestände des Lateranarchivs behandeln[3] und aufgrund seiner Beobachtungen später noch ein längeren Aufsatz verfassen[4]; seine Beobachtungen flossen auch in den entsprechenden Abschnitt der Italia pontificia ein[5]. Auch der französische Historiker und Autor einer umfangreichen Geschichte des Lateranpalastes Philippe Lauer konnte nur mit großer Mühe Zugang zum Archiv erlangen: „J’ai eu quatre mois de négociations très pénibles à mener avant de pouvoir entrer dans ces archives en 1899, et si j’y suis parvenu, je le dois à l’intervention de l’ambassade de France à Rome, ainsi qu’à la bienveillance de l’archiprêtre, du doyen et de l’archiviste de la basilique.“[6] Ein zuverlässiges gedrucktes Verzeichnis der Urkunden ist erst seit wenigen Jahren zugänglich: es wurde 2010 vom langjährigen Mitarbeiter der Vatikanischen Bibliothek und Laterankanoniker Louis Duval-Arnould veröffentlicht[7].

Für 14. bis 28. April 2021 hat das Auktionshaus Christie’s eine Online-Auktion angekündigt, deren Spitzenstücke (Lot 1 und 2) ein feierliches päpstliches Privileg Papst Innocenz’ II. und eine Littera cum serico Papst Innocenz’ III. sind. Im dem literarischen Genus „Auktionskatalog“ eigenen hochtönenden Stil wird festgestellt, daß „The present document appears to be the earliest papal bull to have been offered at international auction in at least the last 40 years“, und die Schätzpreise sind dementsprechend angesetzt.

Das feierliche Privileg Innocenz’ II. ist am 21. Juni 1138 in Rom (Lateran) ausgestellt; es bestätigt ein feierliches Privileg Papst Honorius’ II. und ist in der Tat ein prachtvolles Stück:

Christie’s 14,-28.4.2021 lot 1

Begünstigt ist das Hospital bei der Lateranbasilika, das sich später unter der Verwaltung des Laterankapitels befand. Auf der Rückseite der Urkunde finden sich eine Archivsignatur und ein kurzes Regest von einer Hand des 18. Jahrhunderts:

Auf beides wird gleich zurückzukommen sein.

Äußerlich etwas bescheidener tritt die als Lot 2 angebotene Littera Innocenz’ III. auf; allerdings ist hier noch die an Seidenschnüren befestigte Bulle am Stück erhalten.

Christie’s 14,-28.4.2021 lot 2

Die Littera ist in Rom (Lateran) am 12. Dezember 1210 ausgestellt – die im Auktionskatalog gegebene Auflösung von „II Idus Decembris pontificatus nostri anno tertiodecimo“ als 2. Dezember 1210 ist falsch. Empfänger der Littera sind Prior und Konvent der Lateranbasilika – das Kapitel bestand im 12. und 13. Jahrhundert aus Augustiner Chorherren – und es geht um die Entscheidung des Papstes in einem Streit des Kapitels mit dem Prior und den Mönchen von SS. Quattro Coronati um Pfarrgrenzen[8]. Der Text der Littera ist im Wortlaut der Ausfertigung für SS. Quattro Coronati in das päpstliche Kanzleiregister eingetragen worden[9], im Wortlaut der Ausfertigung für das Laterankapitel ist das Stück in eine am 7. November 1216 ausgestellte Urkunde Honorius’ III. für das selbe inseriert[10].

Auch die Littera Innocenz’ III. trägt auf der Rückseite eine Signatur und einen Archivvermerk

Es ist deutlich – Signaturen und Vermerke auf beiden Stücken stammen von der selben Hand, beide Stücke daher aus dem selben Archiv – und dieses Archiv ist das Archiv des Kapitels der Lateranbasilika. Der Urheber der Signaturen und Archivvermerke ist der Benediktiner Pier Luigi Galletti, der das Archiv 1763 einer Ordnung und Verzeichnung unterzogen hat. In einer von Galletti angelegten Sammlung von Urkundenabschriften und Notizen, heute Cod. Vat. lat. 8034 der Vatikanischen Bibliothek, ist der Text der Innocenz III.-Littera auf f. 64r kopiert, das Datum allerdings fälschlich mit der Jahresangabe 1211 aufgelöst – ebenso wie im Archivvermerk auf der Rückseite der Littera[11].

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts befanden sich beide Urkunden noch im Kapitelarchiv, als sie der damalige Archivar Giovanni Muccioli in einem von ihm angelegten Summarium omnium bullarum que in Tabulario Lateranensi asservantur beschrieb[12]. Auch bei seinem Besuch im Jahr 1900 scheint Paul Fridolin Kehr noch das Original des feierlichen Privilegs Innocenz’ II. gesehen zu haben[13]. Irgendwann danach müssen die beiden Stücke und noch eine größere Anzahl weiterer abhanden gekommen sein – in der Einleitung seines Inventars vermerkt Duval-Arnould, daß von den 1840 von Giovanni Muccioli verzeichneten Papsturkunden heute 42 fehlen – „Per queste ultime si può presumere che non si tratti di perdite accidentali, ma probabilmente di furti.“[14]

Wenigstens für das feierliche Privileg Innocenz’ II. vom 21. Juni 1138 und die Littera cum serico Innocenz’ III. vom 12. Dezember 1210 wird man das „probabilmente“ leider in ein „sicuramente“ ändern müssen. Das Weitere ist für die handelnden Personen wohl leider „nur“ eine Gewissensfrage … bei deren Beantwortung in unserer säkularisierten Zeit eine Erinnerung an die in den eingangs zitierten Kapitelstatuten von 1373 ausgesprochene Sanktion wohl noch weniger als Ansporn zum rechten Handeln dienen wird, als in der zumindest vordergründig gottesfürchtigeren Vergangenheit: Contrarium faciens excommunicationis sententia se noverit innodatum, a qua absolvi nequeat nisi illa reportet primitus ad sacristie locum unde receperat.


Nachtrag 28. April 2021:
Vielleicht ist ein kleiner Hinweis auf die Tatstrafe der Exkommunikation doch nicht so wirkungslos – selbst wenn er in lateinischer Sprache gehalten ist … bei dieser Auktion sind die beiden Urkunden jedenfalls unverkauft geblieben.


[1] Statuti e costituzioni medievali del Capitolo Lateranense. Ed. Louis Duval-Arnould e Jochen Johrendt con la collaborazione di Anna Maria Voci (Tabularium Lateranense 2, Cittá del Vaticano 2011) 146.

[2] Julius Pflugk-Harttung, Iter Italicum (Stuttgart 1883) 79.

[3] Paul Fridolin Kehr, Papsturkunden in Rom. Zweiter Bericht, in: Nachrichten der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-historische Klasse 1900, Heft 3, 360-436, zum Lateranarchiv 397-400 (Nachdruck: Paul Fridolin Kehr, Papsturkunden in Italien. Reiseberichte zur Italia pontificia II: 1899-1900 (Acta Romanorum Pontificum 2, Città del Vaticano 1977) 513-589). Wirklich ungehinderte Forschungen waren ihm aber erst bei einem weiteren Besuch möglich: Paul Fridolin Kehr, Nachträge zu den römischen Berichten, in: Nachrichten der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-historische Klasse 1903, Heft 5, 505-591. hier 532f. (Nachdruck: Kehr, Papsturkunden in Italien. Reiseberichte zur Italia pontificia IV: 1903-1911 (Acta Romanorum Pontificum 4, Città del Vaticano 1977) 163-249).

[4] Paul Fridolin Kehr, Römische Analekten, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 14 (1911) 1-37, hier 1-26: Die falschen Papsturkunden des Lateran (Nachdruck: Kehr, Papsturkunden in Italien IV: 1903-1911 (Acta Romanorum Pontificum 4, Città del Vaticano 1977) 419-455).

[5] Italia pontificia I: Roma, bearb. v. Paul Fridolin Kehr (Berlin 1906) 22-35 (Digitalisat).

[6] Philippe Lauer, Le Palais du Latran (Paris 1911) 345. Lauer bietet auch eine knappe Liste der Urkunden (633-639), doch ist diese möglicherweise nicht immer aufgrund der Originale erstellt – siehe unten Anm. 11.

[7] Louis Duval-Arnould, Le pergamene dell’Archivio Capitolare Lateranense. Inventario delle serie Q e bollario della chiesa lateranense (Tabularium Lateranense 1, Città del Vaticano 2010).

[8] Über die im Zuge dieses Streites hergestellten Fälschungen vgl. Kehr, Römische Analekten (wie Anm. 4).

[9] ASV, Reg. Vat. 8, f. 43r; Die Register Innocenz’ III. 13. Band: 13. Pontifikatsjahr, 1210/1211. Texte und Indices. Bearb. v. Andrea Sommerlechner und Herwig Weigl gemeinsam mit Othmar Hageneder, Rainer Murauer und Reinhard Selinger (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom II/1/13, Wien 2015) 293-295 Nr. 195 (197) (Digitalisat des gesamten Bandes). August Potthast, Regesta Pontificum Romanorum (Berlin 1874, Ndr. Graz 1957) Nr. 4144.

[10] ASV, Reg. Vat. 9, f. 15r-15v; Pietro Pressutti, Regesta Honorii Papae III, 2 Bde. (Rom 1888, Ndr. Hildesheim / New York 1978) I, 16 Nr. 91 (Abdruck des gesamten Textes aus dem Register ebd. p. LXXsq.); Das Original des Honorius-Privilegs befindet sich unter der Signatur Q.I.A.5 im Kapitelarchiv, vgl. Duval-Arnould, Le pergamene (wie Anm. 7) 235 Nr. 47.

[11] Der Jahresangabe von Galletti folgt anscheinend Lauer, Le palais (wie Anm. 6) 634f. Nr. 33.

[12] Duval-Arnould, Le pergamene (wie Anm. 7) 9f. zu den Bemühungen von Galletti und Muccioli.

[13] Italia Pontificia I, 35 Nr. 3, abgedruckt in Pressutti, Regesta (wie Anm. 10) I, LXVILXV.

[14] Duval-Arnould, Le pergamene (wie Anm. 7) 11. In seinem „Bullarium“ hat Duval-Arnould die nun bei Christie’s angebotenen Urkunden Innocenz’ II. (226 Nr. 12) und Innocenz’ III. (234 Nr. 44) aufgrund der kopialen Überlieferung verzeichnet und das Fehlen der Originale vermerkt.

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