Ein neues Fragment des Missale Salisburgense aus der Fragmentsammlung des Zentralarchivs des Deutschen Ordens (DOZA) in Wien

Im Zentralarchiv des Deutschen Ordens (DOZA) in Wien befindet sich ein nicht unerheblicher Teil der historischen Überlieferung des Deutschen Ordens.[1] Zwar kann nicht von  „der“ zentralen Überlieferung gesprochen werden, vielmehr werden im DOZA Sammlungen unterschiedlicher Provenienzen aufbewahrt. So befindet sich als ein bedeutender Bestand das Archiv des Hochmeistertums aus Mergentheim im DOZA.[2] Weiterhin wurden Bestände zu verschiedenen Balleien, etwa von Böhmen oder der Ballei an der Etsch und im Gebirge, im DOZA abgeliefert. Von Anfang an lag der Bestand der Ballei Österreich in Wien.

Unter der Signatur Hs. 551 wird im DOZA eine Mappe aufbewahrt, in der sich die Makulatur befindet, welche im Verlauf der letzten rund 100 Jahre von den dortigen Beständen abgelöst worden war. Die 30 hier verwahrten Fragmente dienten als Einbände von Steuerregistern, Zehntbüchern, Urbaren, Zinsbüchern, Protokollen und Prozessunterlagen aus den Kommenden Großsonntag, Gumpoldskirchen, Laibach und Wiener Neustadt.[3] Die Laufzeit dieser Trägerbände erstreckte sich auf den Zeitraum von 1565 bis 1698.[4] Bei den eben genannten Kommenden befindet sich weitere Makulatur noch in situ, wie Stichproben in diesen Beständen ergeben haben. Es ist also mit weiteren Fragmenten, die aus denselben Handschriften stammen können, zu rechnen.

29 der 30 genannten Fragmente stammen aus mittelalterlichen Handschriften, deren Inhalt hauptsächlich im liturgischen Bereich (Brevier, Lektionar, Missale) zu verorten war, bestand aber auch aus theologischen Traktaten, wie die Ausführungen des Kirchenvaters Augustinus zum Johannes-Evangelium,[5] Bibeln, Grammatiktexte[6] oder historische Abhandlungen.[7]

Abb. 1: Fragment des Missale Salisburgense

Ein einziges Fragment war Bestandteil einer Inkunabel.[8] Das Pergamentblatt ist am Rand beschnitten, es fehlen von der der Bindung zugewandten Spalte ca. zwei Buchstaben. Die Außenmaße je Seite betragen 310 x 185 mm, der geringfügig beschnittene Schriftraum 260 x 160 mm. Der Text ist zweispaltig gesetzt mit 38 Zeilen je Spalte. Wie bei liturgischen Texten üblich sind die Gesangstexte in einer etwas kleineren Schrifttype gedruckt. Mit roter Tinte wurden die Überschriften sowie die Foliierung LI gedruckt. Diese befindet sich annähernd mittig über der b-Spalte der Recto-Seite. Weiterhin finden sich dreizeilige rote Lombarden zu Beginn einzelner liturgischer Texte.

Zum ehemaligen Trägerband lassen sich leider keine genauen Angaben machen. Auf dem rechten Rand von f. 51r befindet sich die Angabe SchlüssRachtüng vor Durget Wax Anno 1625 biß […] Anno 1626. Ein Band mit einem Friedenabschluss einer entsprechenden Person ist in den Archivalien im DOZA nicht nachweisbar. Aufgrund der Knickspuren und der Positionierung der Aufschrift des Trägerbandes quererlaufend zum Inkunabel-Text auf dem rechten Rand kann gefolgert werden, dass es sich bei dem Trägerband um einen Quart-Band gehandelt haben muss.

Die Formulare, die sich auf f. 51rv befinden, gehören zu einem Missale mit Auszügen zur Feria quinta et Feria sexta post dominicam quartam quadragesimam, also aus der Fastenzeit. Der Text setzt mitten in der Postcommunio zur Feria quinta ein. Die Feria sexta wird eigens als solche bezeichnet. Das Formular umfasst die Teile vom Introitus-Psalm bis zur Evangelien-Lesung Erat quidem languens (Io 11,1 ff.), die sich auf der gesamten Verso-Seite hinzieht.

Abb. 2: Unterer Teil von f. 51v mit Ausschnitten aus der Evangelien-Lesung.

Die im Fragment aufgeführte Liturgie entspricht, wie ein Vergleich mit dem Liber Ordinarius gezeigt hat, nicht der Liturgie des Deutschen Ordens, vielmehr kann es als Rest eines Missale Salisburgense angesprochen werden. Die Drucktype deutet auf das von Georg Stuchs für Johannes Rynman in Nürnberg 1498 gedruckte Missale.[9] Ein Verglich mit dieser in der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) München vorhandenen Inkunabel bestätigt diese Vermutung.[10]

Diese Inkunabel ist in wenigen kompletten Exemplaren hauptsächlich in österreichischen Bibliotheken vorhanden, ein Großteil der Überlieferung basiert indessen auf Fragmenten.[11] So besitzen heute nach den Angaben im ISTC u.a. die Dominikaner in Friesach (heute in der Dominikanerbibliothek in Wien), die Stiftsbibliothek St. Peter in Salzburg (Fragment), die Benediktiner in St. Lambrecht, St. Paul (nur ein Blatt) und St. Peter in Salzburg sowie die Vorauer Chorherren unvollständige Exemplare bzw. Fragmente. Lediglich die Bibliotheken in Graz und Klagenfurt scheinen unbeschädigte Codices zu besitzen. Das hier vorliegende Fragment ist zudem eines der sehr wenigen Drucke auf Pergament.

Außer dieser Inkunabel aus dem Jahr 1498 druckte Georg Stuchs in Nürnberg bereits 1492 ein Missale Salisburgense, von dem sich deutlich mehr Textzeigen erhalten haben.[12] Die beiden Inkunabeldrucke von 1492 und 1498 sind die einzigen vor dem Jahr 1500.

Da die Liturgie der Kirchenprovinz Salzburg die im österreichischen Raum vorherrschende ist, verwundert es nicht weiter, dass unter der anderen Makulatur der Sammlung im DOZA ebenfalls Reste von Missale-Handschriften mit Salzburger Provenienz zu finden sind. So spiegeln die Fragmente Nr. 2-3,[13] 12, 22 und 24 ebenfalls die Salzburger Liturgie wider.

Die Salzburger Liturgie ist vergleichsweise gut erforscht. Dies liegt zu einem erheblichen Teil an dem bis 2019 an den Universitäten Graz und Wien beheimateten Cantus Network-Projekt begründet, in welchem die Libri Ordinarii, die für Messe und Offizium maßgeblichen Regelbücher, ediert, digitalisiert und erforscht wurden.[14] Der Liber Ordinarius diente als Grundlage für die Ausformulierung der für den Gottesdienst notwendigen Handschriften, wozu das Missale als „Haupt“-Text zu rechnen ist. Das Missale selber kann je nach Kirche oder Orden gleichwohl liturgische Unterschiede zum Liber Ordinarius aufweisen, diese bewegen sich jedoch in einem kleinen Rahmen.

Mittelalterliche Handschriften des Typs Missale Salisburgense sind in einiger Zahl vorhanden.[15] So wird bspw. in der UB Graz ein Missale Salisburgense aus der Zeit um 1200 aufbewahrt, welches aus dem Augustiner-Chorherrenstift Seckau, das auch einige Libri Ordinarii ihr Eigen nannte, stammt.[16] Dieser Codex weist Seckauer Eigenheiten auf. „Reine“ Salzburger Liturgie findet sich in Archiven und Bibliotheken in Graz (Diözesanarchiv und UB),[17] Klosterneuburg (Augustiner-Chorherrenstift),[18] Salzburg (Archiv der Erzdiözese und Museum)[19] und Wien (ÖNB).[20]

Die letztgenannte Handschrift, Cod. 14123 der ÖNB, war ursprünglich im DOZA beheimatet.[21] Sie wurde aus der Ordensbibliothek mit weiteren, mindestens 339 Handschriften, auch Liturgica sowie theologische Codices aus dem Zeitraum des 13. bis 15. Jahrhunderts, für 900 Gulden 1861 an die Wiener Hofbibliothek verkauft.[22] Stichhaltige Gründe für den Verkauf seitens des Deutschen Ordens sind nicht bekannt.


[1] P. Klemens Wieser OT, Das Zentralarchiv des Deutschen Ordens in Wien, in: Archivalische Zeitschrift 60 (1964), S. 131-152. P. Frank Bayard OT, Das Deutschordens-Zentralarchiv in Wien, in: Österreichische Archive. Geschichte und Gegenwart, hg. von Petr Elbel, Brünn 2019, S. 486-503.

[2] Karl Lampe, Die Auflösung des Deutschordenshauptarchivs zu Mergentheim, in: Archivalische Zeitschrift 57 (1961), S. 66-130.

[3] Zu Großsonntag, Laibach und Wiener Neustadt vgl. P. Marian Tumler OT: Der Deutsche Orden im Werden, Wachsen und Wirken bis 1400 mit einem Abriß der Geschichte des Ordens von 1400 bis zur neuesten Zeit, Wien 1955, S. 54 und 92-95. Zu Gumpoldskirchen vgl. Günther Ollinger, Der Deutsche Orden in Gumpoldskirchen – Eine Entwicklungsgeschichte – Von den Anfängen bis zum 17. Jahrhundert, Magisterarbeit Univ. Wien 2011, S. 58-64.

[4] Anette Löffler, Makulatur und ihre Trägerbände im Zentralarchiv des Deutschen Ordens (DOZA) in Wien, in: Deutscher Orden 1 (2021), S. 22-30.

[5] Anette Löffler, Die Makulatursammlung (Hs. 551) im Zentralarchiv des Deutschen Ordens in Wien. Katalog und Beschreibung des Bestandes (Erschließung abgeschlossen, Druck in Vorbereitung), Nr. 5.

[6] So bspw. ein Fragment aus dem Liber derivationum des Huguccio von Pisa, vgl. Löffler (wie Anm. 5), Nr. 27.

[7] Hier ein Fragment aus De bello judaco des Flavius Josephus, vgl. Löffler (wie Anm. 5), Nr. 30.

[8] Löffler (wie Anm. 5), Nr. 19.

[9] GW M24689; istc im00719000.

[10] BSB München, 2 Inc. c. a. 3667, f. 51rv (Aufnahme 128-129). ‚Missale Salisburgense‘, Bild 128 von 556 | MDZ (digitale-sammlungen.de)

[11] Hinzu kommen sieben, teilweise unvollständige Exemplare in anderen Ländern.

[12] GW M24684. ISTC im00718000.

[13] Bei Fragment Nr. 3 ist die Reihenfolge der Formulare der Votivmessen verändert.

[14] https://gams.uni-graz.at/context:cantus/sdef:Context/get?locale=de 

[15] Ferdinand Eichler, Eine Salzburger Missalienwerkstätte des späten XV. Jahrhunderts, in: Gutenberg-Jahrbuch 15 (1940), S. 163-168. Friedrich Simander, Ein vermutliches Missale Salisburgense der British Library, in: Codices manuscripti 48/49 (2004), S. 7-12.

[16] UB Graz, Ms 479. Zum Digitalisat Austrian Literature Online: Missale Salisburgense. (1200). Weitere Handschriften dieses Typs vgl. UB Graz, Ms 417, Ms 456, Ms. 469, Ms. 474 und Ms 716.

[17] Diözesanarchiv Graz, Cod. 8801 – XVIII C 7/33. UB Graz, Ms 74, Ms 112, Ms 131, Ms 281, Ms 285, Ms 444 und Ms 767.

[18] StiftB Klosterneuburg, Cod. 610.

[19] Salzburg, Erzbischöfliches Konsistorialarchiv, Cod 2. Salzburg Museum, Hs 858.

[20] ÖNB Wien, Cod. 14123.

[21] Robert Klugseder e.a., Katalog der mittelalterlichen Musikhandschriften der Österreichischen Nationalbibliothek Wien (Codices mansucripti & impressi, Supplementum 10), Purkersdorf 2014, S. 208-210 und Abb. 67a-d.

[22] Franz Lackner, Zum Kauf der Handschriften der Bibliothek des Deutschen Ordens in Wien durch die Hofbibliothek im Jahre 1861, in: Codices manuscripti 25 (1998), S. 17-33, mit einer Liste der verkauften Handschriften auf S. 26-31. Zu den liturgischen Handschriften Robert Klugseder, Die mittelalterlichen liturgischen Handschriften der Bibliothek des Deutschen Ordens in Wien, in: Codices manuscripti 73/74 (2010), S. 31-42.

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