Von Salem nach Admont

Admont, das im steirischen Ennstal gelegene, 1074 vom Salzburger Erzbischof Gebhard gegründete Benediktinerkloster, und Salem, das um 1134 nahe dem Bodensee gegründete Zisterzienserkloster, scheinen auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam zu haben. Und doch hat bereits 1888 der Admonter Benediktiner und Bibliothekar Jakob Wichner in seinem Bibliothekskatalog zwei Handschriften der Admonter Bibliothek beschrieben, die aus Salem stammen. Wichners Katalog ist ungedruckt geblieben (Digitalisat des Katalogeintrags), aber der Hinweis wurde von Paul Buberl in sein 1911 veröffentlichtes Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Admont und Vorau[1] aufgenommen und so der Forschung allgemein zugänglich. Die Handschriften – CAd 31 und 32 – sind daher auch in Sigrid Krämers Handschriftenerbe als aus Salem stammend erwähnt[2]; trotzdem haben sie bisher in der die Geschichte des Salemer Schrift- und Buchwesens betreffenden Literatur keine Beachtung gefunden[3] .

CAd 31, f. 1v

CAd 31, f. 1v

Die beiden Codices überliefern die vom Pariser Magister Petrus Cantor (gest. 1197) verfassten Glossen zur Evangelienharmonie Unum ex quatuor[4]. Der umfangreiche Text (die beiden Codices enthalten je 128 Blätter) war zunächst in einem Band gebunden, ist aber schon frühzeitig auf zwei Bände aufgeteilt worden. In CAd 31 bricht der Text auf f. 128vb in der Glosse zu Mt 19, 12 ab. In der Mitte des unteren Randes der Seite steht eine Kustode XVIus und rechts davon eine Reklamante nunc oblati sunt ei paruuli (Mt 19, 13). Tatsächlich beginnt der Text in CAd 32 f. 1ra mit genau diesen Worten – allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass zwar am linken Rand ein N für den Miniator vorgemerkt ist, dieser aber in Übereinstimmung mit dem Bibeltext ein T(unc) ausgeführt hat. Am unteren Rand von f. 8v findet sich die Kustode XVIIus, womit noch einmal die ursprüngliche Einheit der beiden Codices bewiesen ist. Die Trennung in zwei Bände muss jedenfalls frühzeitig erfolgt sein, denn im 1376 angelegten Admonter Bücherverzeichnis des Petrus von Arbon ist das Werk bereits als zweibändig beschrieben: Item prima pars Petri Parisiensis super unum ex quatuor, incipit „In principio“. Item secunda pars eiusdem, incipit „Tunc oblati“[5] . Dazu passen auch die Einbände, deren Gestaltung in Admont öfter zu finden ist – einfache hellbraune Ledereinbände mit Langschließen, Streicheisenlinien und jeweils auf dem Vorderdeckel aufgeklebten Titelschildern mit dem für beide Bände übereinstimmenden Text Glosa magistri Petri Parisiensis super unum ex quatuor[6].

Interessant sind die Besitzvermerke, die sich in den Bänden finden. Unmittelbar an das Textende in der letzten Zeile von f. 128vb in CAd 31 schließt von anderer aber etwa gleichzeitiger Hand geschrieben Liber sancte Marie uirginis ohne eine Ortsbezeichnung an. In CAd 32 findet sich einerseits auf der Versoseite eines ungezählten Vorsatzblattes ein eindeutig Admonter Besitzvermerk wohl des 13. Jahrhunderts: Liber iste pertinet ad ecclesiam sancte Marie et sancti Blasii in Agmunt. Sehr ungewöhnlich ist freilich das Marienpatrozinium, das in Admonter Besitzvermerken sonst nicht vorkommt[7].

CAd 32, Rückseite des Vorsatzblattes

CAd 32, Rückseite des Vorsatzblattes

Richtig interessant wird es dann auf f. 128va. Unter dem Explicitvermerk des Textes hat eine nahzeitige Hand in vergrößerter Schrift Liber sancte Marie uirginis eingetragen; danach folgt eine Rasur, doch sind unschwer die Worte in salem zu erkennen. Offenkundig wurde hier der Versuch unternommen, die eigentliche Herkunft des Bandes zu verschleiern, und vielleicht ist auch die Erwähnung des ungewöhnlichen Marienpatroziniums im sicher Admonter Besitzvermerk auf dem Vorsatzblatt so zu verstehen.

CAd 32, f. 128va (Detail)

CAd 32, f. 128va (Detail)

Jedenfalls dürfte es sich bei dem Vermerk auf f. 128va um einen der ältesten bekannten Salemer Besitzvermerke handeln – zumindest lässt dies der Vergleich mit den Besitzvermerken in den bisher online zugänglichen Salemer Handschriften vermuten[8] .

Eine Sammlung früher Besitzvermerke aus Salemer Handschriften, heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg

Eine (unvollständige) Sammlung früher Besitzvermerke aus Salemer Handschriften, heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg

Gibt es Anhaltspunkte für Kontakte zwischen Salem und Admont im Mittelalter? Außer den beiden besprochenen Handschriften sind bisher keine bekannt geworden; alles Weitere ist daher hypothetisch und spekulativ. Es ist aber daran zu erinnern, dass Salem seit Beginn des 13. Jahrhunderts in enger Beziehung zum Salzburger Erzbischof stand: Erzbischof Eberhard II.[8] hatte am 16. Dezember 1201 dem Abt und Konvent von Salem im Gegenzug zur Selbstunterstellung des Klosters unter das Erzbistum eine Saline in Hallein geschenkt[10]. Dieser sehr interessante Vorgang, dessen Hintergrund vermutlich in den verwandtschaftlichen Beziehungen Erzbischof Eberhards in den Bodenseeraum und zur Salemer Stifterfamilie zu suchen ist, war der Anfang einer bis zur Aufhebung Salems 1803 andauernden engeren Verbindung zwischen Kloster und Erzbistum, die sich für Salem als außerordentlich lukrativ erweisen sollte[11]. Auch Admont war nicht nur durch seine Lage in der Erzdiözese sondern auch durch seine Gründung durch Erzbischof Gebhard eng mit Salzburg verbunden. Wie Salem profitierte auch Admont von der Salzgewinnung in Hallein; beide Klöster hatten mitunter Aufträge des Erzbischofs zu erfüllen. Vielleicht entstanden auf diese Weise die Kontakte, die der Salemer Petrus Cantor-Handschrift ihre Wanderung nach Admont ermöglichte? Jedenfalls wäre es nun interessant, die CAd 31 und 32 einer genaueren paläographischen und kunsthistorischen Untersuchung zu unterziehen und Buberls Einordnung als „nordfranzösische (Pariser) Arbeit aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts“[12] im Lichte jüngerer Forschungen zur Salemer Buchproduktion einer Überprüfung zu unterziehen.

[1] Paul Buberl, Die illuminierten Handschriften in Steiermark I: Die Stiftsbibliotheken zu Admont und Vorau (Beschreibendes Verzeichnis der illuminierten Handschriften in Österreich IV/1 = Publikationen des k.k. Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Leipzig 1911) 149 Nr. 126; online hier.

[2] Sigrid Krämer, Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters 2 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Ergänzungsband I, München 1989) 701.

[3] Ewald Jammers, Die Salemer Handschriftensammlung, in: Bibliotheca docet. Festschrift Carl Wehmer (Amsterdam 1963) 45-64; Wilfried Werner, Schreiber und Miniatoren – ein Blick in das mittelalterliche Skriptorium des Klosters Salem, in: Salem. 850 Jahre Reichsabtei und Schloß. Ed. Reinhard Schneider (Konstanz 1984) 295-342.; Andrea Fleischer, Zisterzienserabt und Skriptorium. Salem unter Eberhard I. von Rohrdorf (1191-1240) (Imagines Medii Aevi 19, Wiesbaden 2004).

[4] Friedrich Stegmüller, Repertorium biblicum Bd. 4 (Madrid 1954) 267 Nr. 6504.

[5] Mittelalterliche Bibliothekskataloge Österreichs Bd. 3: Steiermark. Bearb. v. Gerlinde Möser-Mersky (Graz / Wien / Köln 1961) 24 Z. 40-42. Ebenso im zweiten Verzeichnis des Petrus von Arbon von 1380, ebd. 39 Z. 11-13.

[6] Der Einband von CAd 31 ist 1958 von Eleonore Klee (St. Florian) restauriert worden. Sie hat auch den – Wichners Katalogbeschreibung zufolge schwer schadhaft gewesenen – Einband von CAd 32 durch einen neuen, dem alten Einband nachempfunden Einband ersetzt; das alte Titelschild ist auf dem neuen Vorderdeckel aufgeklebt.

[7] Nachtrag 12.2.2016: P. Maximilian Schiefermüller (Stiftsbibliothekar und Archivar von Admont) danke ich für den Hinweis, dass Admont bis ins späte Mittelalter tatsächlich das Doppelpatrozinium Blasius und Maria besaß. Vgl. auch Jakob Wichner, Geschichte des Benediktiner-Stiftes Admont. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Jahre 1177 (Graz 1874) 33 (online).

[8] Codices Salemitani – digital – ein wunderbares Angebot der Universitätsbibliothek Heidelberg in vorbildlicher Präsentation!  Auch Wilfried Werner, Die mittelalterlichen nichtliturgischen Handschriften des Zisterzienserklosters Salem (Wiesbaden 2000) ist hier online zugänglich.

[9] Hans Martin Schaller, Art. „Eberhard II. von Regensberg“, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959) 231 [Onlinefassung]  (8.2.2016).

[10] Salzburger Urkundenbuch Bd. 3: Urkunden von 1200-1246. Bearb. von Willibald Hauthaler und Franz Martin (Salzburg 1918) (online  [8.2.2016]) 13-15 Nr. 543; Codex diplomaticus Salemitanus, Bd. 1: 1134-1266, hrsg. von Friedrich von Weech (Karlsruhe 1883) (online [8.2.2016]) 91-93 Nr. 61.

[11] Werner Rösener, Reichsabtei Salem. Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte des Zisterzienserklosters von der Gründung bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen, Sonderband 13, Sigmaringen 1974) (online [8.2.2016]), bes. 53-55; Otto Volk, Salzproduktion und Salzhandel mittelalterlicher Zisterzienserklöster (Vorträge und Forschungen, Sonderband 30, Sigmaringen 1984) (online [8.2.2016]), bes. 45-72.

[12] Buberl, wie Anm. 1.

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