Neue Belege für den Schreiber „Rudigerus“ (12. Jh.)

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts lässt sich in österreichischen Handschriften ein Schreiber nachweisen, der unter dem Namen Rudigerus in die Literatur eingegangen ist. Der Name beruht auf einer Verlesung und einer fälschlichen Zuweisung eines späteren Kolophons in einer Handschrift aus dem Zisterzienserkloster Baumgartenberg, die heute in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt ist (ÖNB Cod. 696, fol. 209v)[1]

Kolophon in ÖNB, Cod. 696, fol. 209v

Neben der auffälligen Schriftstilisierung, ist vor allem die Verbreitung der Handschriften bemerkenswert, an denen „Rudigerus“ beteiligt war. Er findet sich in Bänden der Zisterzienserstifte Heiligenkreuz, Baumgartenberg und Rein ebenso wie im Benediktinerstift Garsten. Dort ist er unter anderem auf vielen Seiten des Traditionscodex des Stiftes nachweisbar (siehe die Auflistung der bekannten Belege unter  http://www.scriptoria.at/cgi-bin/scribes.php?ms=AT8500-696).

Sein Oeuvre kann nun durch eine Handschrift und zwei Fragmente erweitert werden, die heute in Linzer Institutionen aufbewahrt werden.

In der Oberösterreichischen Landesbibliothek ist „Rudigerus“ nicht nur in den bereits bekannten Baumgartenberger Handschriften nachweisbar, sondern auch noch im ebenfalls aus Baumgartenberg stammenden Cod. 337. Die 160 Blatt dieses Bandes bilden eine kodikologische Einheit, die gänzlich von seiner Hand stammt.

Oberösterreichische Landesbibliothek, Cod. 337, fol. 1v, Schreiber „Rudigerus“

Ebenfalls von „Rudigerus“ Hand stammt ein Fragment eines Lektionars, das als Cod. 591 (Digitalisat) in der OÖLB aufbewahrt wird. Erhalten ist die untere Hälfte eines in Langzeilen beschriebenen Einzelblatts. Das Blatt wurde laut beiliegendem Umschlag am 10. März 1910 aus dem Druck mit der Signatur D. III. 50 ausgelöst. Der Eintrag des ehemaligen Bibliothekars und Verfassers des Handschriftenkatalogs Konrad Schiffmann lässt allerdings trotz der genauen Information keine Identifizierung des Trägerbandes zu, da die Signaturen der Druckschriften geändert wurden und keine Konkordanzliste existiert. Damit besteht im Moment keine Möglichkeit, die ehemalige Bibliotheksheimat des Blattes oder der zerschnittenen Handschrift zu bestimmen. Am wahrscheinlichsten scheint das Benediktinerstift Garsten, aus dessen ehemaligen Bibliotheksbestand eine große Anzahl an Handschriften, Inkunabeln und alten Drucken heute in der OÖLB verwahrt wird.

Oberösterreichische Landesbibliothek, Cod. 591, Schreiber „Rudigerus“

Auch im Oberösterreichischen Landesarchiv lässt sich „Rudigerus“ nachweisen. In der Sammlung Buchdeckelfunde (Signatur III.14.f.) ist seine Hand auf einem Doppelblatt aus einer Handschrift des Alten Testaments zu finden. Erhalten sind Teile der Bücher Micha und Amos. Die Maiuskeln der Satzanfänge der rechten Spalte jedes Blattes sind rot nachgezeichnet, die der linken Spalte waren wahrscheinlich ursprünglich in heller Farbe nachgezeichnet, ähnlich wie es z.B. auch in ÖNB Cod. 696 zu finden ist. Das Blatt war offensichtlich ursprünglich als Einband verwendet und mit einem Titelblatt überklebt. Weder der heutige Umschlag des Fragments noch das Findmittel des Archivs geben Aufschluss über den Trägerbandes und damit einen Hinweis auf die Bibliotheksheimat der zerschnittenen Handschrift. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Trägerband aus dem Archivbestand des OÖLA stammt und damit einen Bezug zu Oberösterreich hat[2].

Oberösterreichisches Landesarchiv, Buchdeckelfunde, III.14.f

Ein weiteres Indiz auf die Herkunft gibt die Verwendung von punctus flexus, wie es für Zisterzienserhandschriften üblich ist[3] . Es scheint damit zumindest möglich, dass hier ein Teil einer Handschrift des oberösterreichischen Zisterzienserklosters Baumgartenberg vorliegt, dessen Archivbestände in geringen Resten heute im OÖLA aufbewahrt werden.

Mit diesen Neufunden verstärkt sich der Eindruck, dass der Mittelpunkt von „Rudigerus’“ Tätigkeit im heutigen Oberösterreich lag. Von 21 bekannten Handschriften stammen 14 aus den oberösterreichischen Klöstern Garsten (8) und  Baumgartenberg (6), zwei vermutlich aus oberösterreichischen Klöstern. Dagegen stehen drei Handschriften aus dem niederösterreichischen Zisterzienserstift Heiligenkreuz und zwei weitere Bände, die vorsichtig dem steirischen Zisterzienserstift Rein zugewiesen werden.


[1] Friedrich Simader, Neue romanische Handschriften aus dem Zisterzienserstift Rein. Codices Manuscripti 34/35 (2001) 1-14, hier 4 und zuletzt Alois Haidinger – Franz Lackner, Die Bibliothek und das Skriptorium des Stiftes Heiligenkreuz unter Abt Gottschalk (1134/1147) (Codices manuscripti et impressi, Supplementum 11,  Purkersdorf 2015) 28 mit Anm. 67.

[2] Vereinzelt enthält die Sammlung von Buchdeckelfunden auch Fragmente, die entweder erworben wurden oder durch Schenkung ins Archiv gelangten.

[3] Siehe Nigel Palmer, Simul cantemus, simul pausemus. Zur mittelalterlichen Zisterzienserinterpunktion, in: Lesevorgänge. Prozesse des Erkennens in mittelalterlichen Texten, Bildern und Handschriften, hg. v. Eckart Conrad Lutz, Martina Backes, Stefan Matter (Medienwandel, Medienwechsel, Medienwissen 11, Zürich 2010) 483-569.

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