Verkaufte Inkunabeln aus Stift Heiligenkreuz

In einem Aufsatz habe ich mich vor kurzem mit den Bücherverkäufen in Stift Heiligenkreuz in der Zwischenkriegszeit beschäftigt ([1], online). Im Mittelpunkt stand die Aufarbeitung des Ringens zwischen dem Stift, verschiedenen Vermittlern und Käufern sowie dem österreichischen Bundesdenkmalamt um eine möglichst gewinnbringende und doch kulturguterhaltende Verkaufsstrategie. Aus dem Handschriftenbestand wurden schließlich nur drei Bände verkauft, während über 70 Inkunabeln und eine große Zahl späterer Drucke in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit verloren gingen. Der Aufsatz hatte nicht zum Ziel, die heutigen Aufbewahrungsorte der Bücher zu ermitteln, sodass ich nur eine Liste der verkauften Inkunabeln beifügte. Im Rahmen dieses Blogeintrags soll diese (leicht überarbeitete) Liste nun auch online anderen ForscherInnen für weitere Recherchen und Identifizierungen zur Verfügung gestellt werden.

Für die Identifizierung der Heiligenkreuzer Exemplare bieten sich neben Besitzvermerken Altsignaturen an[2]. Signaturen wurden im Stift erst relativ spät vergeben. Die ältesten datierten Signaturen stammen von 1696 und wurden wohl im Zuge des Wiederaufbaus der Bibliothek nach schweren Zerstörungen durch die Osmanen im Jahre 1683 vergeben[3]. Diese roten Schildchen, die sich bisher nur in Handschriften finden ließen, waren jedoch schon bald obsolet und wurden überklebt.

Rotes Signaturschild

Rotes Signaturschild

Wohl aus etwa derselben Zeitperiode stammen zwei weitere, handschriftliche Signatursysteme (Rote Signatur und Bleistiftsignatur), die jedoch ebenfalls relativ bald durch die zwei am häufigsten vertretenen Signatureinträge ersetzt wurden.

Rote Signatur mit Ergänzungen

Rote Signatur mit Ergänzungen

Bleistiftsignaur

Bleistiftsignatur

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei diesen beiden Signaturtypen, die sich in fast allen Handschriften und einer großen Anzahl früher Drucke nachweisen lassen, handelt es sich einerseits um ein rechteckiges Signaturschild, andererseits um einen handschriftlichen Eintrag, der mit den Worten „Sub classe“ beginnt:

Signaturschild

Signaturschild

Sub-Classe Vermerk

Sub-Classe Vermerk

Sub Classe [römisches Zahlzeichen] M[o]n[aste]rii B[eate] M[arie] V[irginis] Ord[inis] Sac[ri] Cist[erciensis] ad S[anctam] Crucem Cathalogo inscriptus Ord. [arabische Ziffer] Lit. [Maiuskel] No. [arabische Ziffer]

Beide beziehen sich auf dasselbe Signatursystem, das nach inhaltlichen Gruppen geordnet gewesen sein dürfte. Zugehörige Kataloge sind nicht erhalten bzw. im Archiv zur Zeit nicht auffindbar. Bei weiteren Katalogisierungsarbeiten wurden die handschriftlichen Vermerke oft durch Zettel mit folgender Aufschrift überklebt:

Überklebung

Überklebung

M[o]n[aste]rii B[eate] M[arie] V[irginis] Ord[inis] Cist[erciensis] ad S[anctam] + catalogo inscriptus No [arabische Ziffer]

Im 19. Jahrhundert vergab man schließlich neue Fachsignaturen, bei denen die erste arabische Ziffer den Bibliotheksraum angibt. Die Ziffer 2 steht dabei für den Hauptraum, den sogenannten Goldenen Saal. Römische Zahlzeichen bezeichnen das Regal, Maiuskel den Abschnitt im Regal und Minuskeln das Regalbrett. Die Signaturen sind handschriftlich und/oder auf blau umrandeten Klebeetiketten eingetragen und wurden teils mehrfach, wohl im Zuge von Umräumarbeiten, verändert. Diese Signaturen wurden bis in die 1970er beibehalten und finden sich mutmaßlich in jeder verkauften Inkunabel. Als Referenz zum Exemplar wurden sie daher in die unten angefügte Tabelle aufgenommen.

Goldener Saal Signatur

Goldener Saal Signatur

Liste verkaufter Inkunabeln

Die Informationen in der folgenden, nach Verkaufsdatum geordneten Tabelle stammen aus mehreren Quellen, die sich jedoch teilweise widersprechen. In diesen Fällen wurden die im Verkaufskontext wahrscheinlichsten Angaben übernommen. Der Heiligenkreuzer Bibliothekar P. Severin Grill führte während seiner Amtszeit, in die die meisten Verkäufe fallen, ein Gestionsprotokoll[4] der Bibliothek. In teils persönlich gefärbten Einträgen vermerkte er u.a. Besuche durch Verkäufer und Vermittler und die ihnen überlassenen Bücher. Selten gibt er dabei exakte Titel oder Signaturen an. Diese lassen sich zumindest teilweise aus zwei Inkunabelkatalogen der Stiftsbibliothek ermitteln. Dem Bandkatalog „Katalog der Wiegendrucke“ von P. Heinrich Grünbeck liegt eine Liste verkaufter Inkunabeln und Frühdrucke sortiert nach Druckjahren bei, in der das jeweilige Verkaufsjahr angegeben wird. Aus dem Zettelkatalog für Inkunabeln und Frühdrucke wurden die Zettel der verkauften Bände herausgenommen und mit dem Verkaufsdatum und fallweise auch mit dem Käufernamen versehen[5]. Wo aus den Beschreibungen in den Katalogen möglich, wurden die Identifikationsnummern aus dem Gesamtkatalog der Wiegendrucke der Tabelle beigefügt, aus dem auch die Autoren- und Titelansetzungen übernommen wurden. Einige Inkunabeln waren zu Bänden vereinigt, ohne dass die Reihenfolge der Drucke immer genau festzustellen war. Diese Konvolute sind mit der wahrscheinlichsten Textabfolge in der Tabelle unter einer Signatur ausgewiesen. Bei den Signaturen handelt es sich um die Heiligenkreuzer Letztsignaturen (Goldener-Saal Signaturen).

Käuferkürzel:

R: Antiquariat Rosenthal in München. An welches der Antiquariate verkauft wurde, geht aus den Quellen nicht hervor. Reisen durch Österreich sind jedenfalls für Jacques Rosenthal belegt[6].

E: Antiquar Victor Eytelhuber mit der Adresse Lerchenfelderstraße 40, Wien VIII[7]

M: Antiquar Hans Mehltretter mit der Adresse Herzog Friedrichsstr. 20/3, München, später in Luzern.

G: Antiquar Karl Goldmann mit der Adresse Virchowstr. 14/I, München

Autor Titel GW Nummer Signatur Käufer Verkaufs-datum
Jacobus de Gruytrode Lavacrum conscientiae M10691 2 VII D f R 1925-10-27
Johannes de Garlandia Modus confitendi et poenitendi (Poeniteas cito). ?
Johannes de Hese Itinerarius M07733
Joseph Grünpeck Comoediae. Hg. Johann Langenmantel u. Ludwig Hoser 11566
Augustinus Datus Elegantiolae Vlt. 8129 o. 8130
Epistola de miseria curatorum seu plebanorum 9365
Guillelmus de Weert Lilium grammaticae, lat. u. deutsch 12074
Pseudo-Bonaventura Diaeta salutis. Daran: Themata dominicalia totius anni. 4720 2 VII A e R 1925-10-27
Hieronymus De viris illustribus 12451 (1)
Legenda et officium Sancti Wolfgangi M51767
 Pseudo-Eusebius Cremonensis Epistola de morte Hieronymi. Daran: Pseudo-Augustinus, Aurelius: Epistola de vita Hieronymi. – Pseudo-Cyrillus: Epistola de miraculis Hieronymi 9447
Leopoldus de Austria Compilatio de astrorum scientia. Mit Beig. von Erhard Ratdolt M17974 2 VII D e R 1925-10-27
Albumasar Flores astrologiae 837
Petrus de Alliaco Concordantia astronomiae cum theologia. Hg. Johannes Angeli M31932
Boethius De institutione arithmetica 4586
Johannes Regiomontanus Kalendarium M37447 2 VII D e R[8] 1925-10-27
Theobaldus Episcopus Physiologus de naturis XII animalium ? 2 VII D h R[9] 1925-10-27
Aesopus moralisatus mit Komm.: Graecia u. lat. Interlinearglosse 419
Hartmann Schedel Chronica. M40784 2 IV D a? R 1925-10-27
Albertus Magnus De mysterio missae 700 2 VII B d R 1925-10-27
Avicenna Canon Lib. 1-5, lat. von Gerardus Cremonensis. Daran: De viribus cordis (al-adwija al qualbijja), lat. von Arnoldus de Villa Nova 3117 2 VII D b R 1925-10-27
Borchardus Urspergensis Chronicon 5737 2 VII A d R 1925-10-27
Jacobus Dondus De medicinis simplicibus 9042 2 VII D b R 1925-10-27
Cassiodorus Historia ecclesiastica tripartita 6164 2 VII A d R 1925-10-27
Eusebius Caesariensis Historia ecclesiastica, lat. von Rufinus Tyrannus 9437 2 VII D e R 1925-10-27
Werner Rolevinck Fasciculus temporum M38685 2 VII D a R 1925-10-27
Johannes abbas Privilegia ordinis Cisterciensis. Mit Beig. von Conradus Leontorius M35439 2 VII D e R 1925-10-27
Gaius Plinius Secundus Historia naturalis; ital. Übers. Christophorus Landinus M34343 IV I c R 1925-10-27
Thomas de Aquino Catena aurea P. I, II M46094 2 VII D b R 1925-10-27
Stephan Fridolin Schatzbehalter 10329 R 1925-10-27
Hartmann Schedel Chronica. M40784 2 IV D a? E 1926-07-01
Bartholomaeus Platina Vitae pontificum. Mit Brief des Hieronymus Squarzaficus M33881 2 VII C e? E 1926-07-01
Cicero De officiis etc. Mit Komm. 6965 IV I c E 1926-07-06
Cicero Tusculanae disputationes. Mit Komm. von Philippus Beroaldus 6900
Victorinus In rhetoricis Ciceronis ?
Cicero De finibus bonorum et malorum libri V ?
Solinus De mirabilibus mundi M42813 oder M42816
Franciscus de Retza Comestorium vitiorum 10270 2 VII D a E 1926-07-06
Guillelmus Alvernus De rhetorica divina 11866 2 VII A d E 1926-09-14[10]
Bartholomaeus Platina Vitae pontificum. Mit Brief des Hieronymus Squarzaficus M33881 2 VII C e E 1926-09-14
Albertus Magnus Physica 717 2 VII B c E 1926-09-15
Albertus Magnus Metaphysica 683
Albertus Magnus De anima. Daran: De intellectu et intelligibili. 586
Albertus Magnus De generatione et corruptione 613
Albertus Magnus De mineralibus 688
Albertus Magnus De caelo et mundo 595
Albertus Magnus De meteoris 685
Albertus Magnus De animalibus 589
Eusebius Caesariensis Chronicon. Hg. Johannes Lucilius Santritter 9433 2 VII D e E 1926-09-15
Werner Rolevinck Fasciculus temporum. Mit Brief von Erhard Ratdolt M38735 2 VII D b E 1926-09-15
Werner Rolevinck Fasciculus temporum, deutsch M38745 2 VII D a E 1926-09-15
Felix Hemmerli Variae oblectationis opuscula et tractatus. Hrsg. Sebastian Brant. 12187 2 VII D d E 1926-09-15
Johannes Herolt De eruditione christifidelium 12330 2 VII D d E 1926-09-15
Johannes Guallensis Summa collationum M13990 2 VII A e E 1926-09-15
Ortolf von Bayern Arzneibuch M28460 2 VII A e E 1926-09-15
Hartmann Schedel Chronica, deutsch. Übers. Georg Alt.. M40796 2 IV D a? E 1926-10-12
 Lactantius Opera. Mit Beig. von Adam Genuensis und Johannes Andreas (de Bossis), Bischof von Aleria M16563 IV I e o. c E 1926-10-12
Tertullianus Apologeticus adversus gentes ?
Isidorus Hispalensis Etymologiae M15250 2 VII D c ? 1927-09-20
Hali filius Abenragel (Albohazen) De iudiciis astrorum. Übers. von Aegidius de Tebaldis u. Petrus de Regio. Hg. Bartholmaeus Alten. 12117 2 VII D c ? 1928-05-26
(Pseudo-)Albertus Magnus Liber aggregationis. Daran: De mirabilibus mundi 628 2 VII D h ? 1928-07-17
De iurare et blasphemare M15505 2 VII D h ? 1928-07-17
Pseudo-Methodius Revelationes divinae M23054 2 VII D h ? 1928-07-17
Isidorus Hispalensis Etymologiae. Daran: De summo bono M15267 2 VII A c M oder G 1935-06-20
Martinus Polonus Margarita decreti seu tabula martiana M21429
Albertus Magnus De apprehensione ?
Vocabularius teutonico-latinus (Rusticanus terminorum) M51310 4 I h M oder G 1935-06-20
Bartholomaeus Anglicus De proprietatibus rerum 3412 2 VII D g M oder G 1935-06-20
Johannes de Thurocz Chronica Hungarorum M14782 2 VII C c ? ?
Petrus de Crescentiis Ruralia commoda 7825 ? ? 1925?

Verkaufte Handschriften

Olim Cod. 166, heute Széchényi–Nationalbibliothek, Budapest, Cod. germ. 53: Iohannes de Utino, Weltchronik (deutsch), Pergamenthandschrift kurz nach 1458[11]

Olim Cod. 571, heute Königliche Bibliothek, Kopenhagen, Cod. Hebr. Add. 12: Hebräische Pergamenthandschrift des 15. Jahrhunderts[12].

Olim Cod. 573, derzeitiger Aufbewahrungsort unbekannt: Livre d’heures, Druck auf Pergament um 1512, nachträglich umgearbeitet/verfälscht[13].

———

[1] Katharina Kaska, „Also muss die Bibliothek dran glauben“. Versuchte und gelungene Handschriften- und Inkunabelverkäufe des Stifts Heiligenkreuz in der Zwischenkriegszeit. NÖLA. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 17 (2016) 387-417.

[2] Ausführlicher siehe  Christina Jackel, Katalog der mittelalterlichen deutschen Handschriften des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz (Diplomarbeit an der Universität Wien 2011) 15f. , online und Katharina Kaska, Untersuchungen zum mittelalterlichen Buch- und Bibliothekswesen im Zisterzienserstift Heiligenkreuz (MA Arbeit an der Universität Wien 2014) 33-36, online .

[3] Zu den Zerstörungen siehe Kaska, Untersuchungen (wie Anm. 2) 12-14. Das Ausmaß der Zerstörungen des Buchbestands lässt sich schwer nachvollziehen. Die Verluste an Handschriften, die vielleicht ausgelagert waren, sind gering, bei den Drucken fehlt eine Aufarbeitung. Es sind allerdings Drucke mit Besitzvermerken aus der Zeit vor dem Osmaneneinfall vorhanden.

[4] Stiftsarchiv Heiligenkreuz, Rubrik 7 Faszikel 4 Nr. 13 G 18, [Buch mit dem Titel] Gestionsprotokoll über Archiv und Bibliothek 1910–1957

[5] Beide befinden sich ohne Signatur in der Stiftsbibliothek.

[6] Zum Antiquariat Rosenthal siehe z. B. Stadtarchiv München (Hg.), Die Rosenthals. Der Aufstieg einer jüdischen Antiquarsfamilie zu Weltruhm (Wien 2002), darin besonders S. 120 f. zu Jacques Rosenthals Kauftätigkeit in Österreich.

[7] Georg Hupfer, Zur Geschichte des antiquarischen Buchhandels in Wien [phil. DA, Wien 2003] 207.

[8] Der Inkunabel beigebunden waren ein handschriftlicher Traktat über Astronomie und eine Reihe Drucke des 16. Jahrhunderts.

[9] Im selben Band befanden sich noch nicht näher identifizierbare Drucke des 16. Jahrhunderts.

[10] Die Angaben 14. oder 15. September dürften nicht immer ganz exakt wiedergegeben sein.

[11] Ausführlich zur Handschrift und ihrer Geschichte: Tünde Radek, Über eine Handschrift der „Weltchronik“ (Cod. germ. 53 – olim Cod. S. Crucis Nr. 166) von Johannes von Utino. In: Sancta Crux Jg. 73, Nr. 129 (2012) 166–173.

[12] Arthur Zacharias Schwarz, Die hebräischen Handschriften in Österreich (außerhalb der Nationalbibliothek in Wien), Teil 1 (Leipzig 1931) Nr. 3 S. 5.

[13]Dagobert Frey, Die Denkmale des Stiftes Heiligenkreuz = Österreichische Kunsttopographie 19 [Wien 1926]  267 (Nr. 28) mit Abb. 262 (Anbetung der Könige)

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