Ein frühkarolingisches Graffito in der Ringkrypta von St. Emmeram in Regensburg

Frühmittelalterliche Graffiti gehören zu den großen Raritäten unserer Schriftkultur. Im deutschen Sprachraum gilt dies in besonderer Weise für Graffiti in Minuskelschrift. Bernhard Bischoff publizierte 1966 drei Graffiti aus dem 10./11. Jahrhundert, die an den Wänden der Torhalle der Michaelskapelle von Frauenwörth im Chiemsee entdeckt wurden[1]. Die drei Jahre zuvor publizierten, in Buchstabennotation aufgezeichneten Melodien in der Klosterkirche von Corvey aus dem späten 9. oder frühen 10. Jahrhundert bezeichnete er damals als „die einzigen anderen frühmittelalterlichen Graffiti in Minuskel, die in Deutschland aufgedeckt wurden“[2]. Mittlerweile wurde 1976 in der ehemaligen Stiftskirche von St. Peter und Paul in Reichenau-Niederzell eine „entsorgte“ Altarplatte gefunden, die im frühen 12. Jahrhundert mit der Oberseite nach unten als Baumaterial für den neu errichteten Hochaltar verwendet worden war[3]. Auf ihr befindet sich eine Fülle von Namen als flache Kratzungen und tiefer gehende Ritzungen, beide mit „Schreibschriftcharakter“, darüber aber auch – „auf dem ‚Beschreibstoff‘ Stein singulär“ – mit Tinte geschrieben[4]. Die Ritzungen wurden mit der gebotenen Vorsicht „in das beginnende 10. Jahrhundert“ datiert. Die Schwierigkeiten liegen darin, dass „epigraphische Kriterien nicht anwendbar sind und schreibschriftliche Ritzungen als Vergleichsbeispiele nur in geringer Zahl überliefert sind“[5]. Die Beschriftungen in Tinte dürften aus dem 10. und 11. Jahrhundert stammen[6]. Andere vergleichbare Überlieferungen aus dem deutschen Sprachraum sind bisher nicht bekannt. Altarplatten mit Namenseintragungen aus dem 8. bis 11. Jahrhundert gibt es in Südfrankreich, Memorialeinträge vom 6./7. Jahrhundert bis ins 10. Jahrhundert finden sich im Chor des Domes von Poreč (Parenzo) in Istrien an den Wänden, eingeritzte langobardische Namen vom 7. bis 9. Jahrhundert wurden 1956 in S. Angelo auf dem Monte  Gargano entdeckt[7]. In der Schweiz haben sich geritzte Grabnotizen aus dem 6./7. Jahrhundert in der Abtei St-Maurice (Kanton Wallis) erhalten sowie Graffiti des 9./10. Jahrhunderts in Müstair (Graubünden)[8].

Überraschung versprach das Bild eines Graffito, das bei einem Besuch in Regensburg aufgenommen worden war: der Name Sundarheri, eingeritzt in einen breiten dunkelroten Streifen von Wandmalerei. Das Bild war zwar nicht ganz scharf, aber hinreichend für eine erste paläographische Grobdatierung der Schrift in die Zeit um 800[9]. Nach einer ersten Umschau in der Fachliteratur nützte ich die nächstbeste Gelegenheit, mir vom Graffito und seiner Umgebung an Ort und Stelle selbst ein Bild zu machen.

In der Ringkrypta von St. Emmeram, dem ältesten erhaltenen Teil der Klosterkirche, einem tonnengewölbten Ringgang um die Mittelapsis, wurden 1952 und 1962–1964 Reste von in Kalkseccotechnik ausgeführten Wandmalereien freigelegt. Neben Flechtornamenten und Rankendekor waren auch gerahmte, nur bruchstückhaft erhaltene Schriftbänder zum Vorschein gekommen. Die Ringkrypta gilt als Bestandteil der unter Abtbischof Sintbert (768–791) gebauten Klosterkirche, als deren Baujahr die Annales Ratisponenses 783 angeben. 791 wird die cripta sancti Emmerami urkundlich erwähnt, ein „zuverlässige(r) terminus ante quem für die Datierung der Ringkrypta“. Aus der Überlegung, dass der technische Befund einen nur unerheblichen Abstand zwischen der Bauzeit und der Malerei nahelegt, der mit „maximal einer Generation“ veranschlagt wurde, „ergibt sich eine Datierung um 800 oder im frühen 9. Jahrhundert“. Da im Bereich der Wandmalerei vergleichbare Beispiele nicht bekannt sind und die Buchmalerei der Zeit „keine überzeugenden Anhaltspunkte“ liefert, kam für eine Stütze der Datierung nur die epigraphische Analyse in Betracht[10].

Sebastian Scholz, dem diese Aufgabe anvertraut worden war, fasste als Ergebnis seiner Untersuchungen zusammen: „Aufgrund des fehlenden Vergleichsmaterials stößt die Methode der Datierung durch den paläographischen Vergleich hier an ihre Grenze. Es läßt sich kein positiver Beweis dafür erbringen, daß die Inschrift  der Ringkrypta im 8. Jahrhundert oder zu Beginn des 9. Jahrhunderts entstand. Trotzdem ergeben sich aus der paläographischen Analyse wertvolle Anhaltspunkte für die Datierung der Inschrift, weil die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts und das 11. Jahrhundert mit ziemlicher Sicherheit als Entstehungszeitraum ausgeschlossen werden können. Da die Inschrift zudem keine Merkmale der nach 830 gebräuchlichen karolingischen Kapitalis zeigt, weisen alle Beobachtungen zusammengenommen auf ihre Entstehung vor 830 hin“[11]. Auf die von Hans K. Ramisch 1962 erwähnten eingeritzten Pilgerinschriften, die „noch entziffert werden“ müssen[12], sowie auf das Graffito Sundarheri ist Scholz nicht eingegangen[13].

Die erwähnten Pilgerinschriften waren im Rahmen einer Führung in St. Emmeram leider nicht zu sehen, wohl aber das Graffito Sundarheri, dessen Lokalisierung mir bekannt war.

Dieses Graffito – Breite ca. 7,5 cm – vermag einen wichtigen Hinweis auf die Datierung der Ringkrypta zu geben. Es ist eingeritzt in den breiten dunkelroten Streifen der Wandmalerei an der Innenseite des nördlichen Teils der Ringkrypta, unmittelbar rechts neben der Nische im Scheitel der Apsis mit der Verschlussplatte der Emmeram-Confessio, oberhalb des viele Jahrhunderte später angebrachten schmiedeeisernen Gitters.

Dem Buchstabenbefund nach ist die Schrift als frühkarolingische Minuskel einzustufen mit einem Maiuskel-Anfangsbuchstaben. Der allgemeine Eindruck ließe zunächst zwar an eine vorkarolingische Schreibweise denken, doch würde man dann eher eine offene, cc-förmige Gestalt des a erwarten. Die geschlossene „unziale“ Form des a, dessen linker Teil durch in spitzem Winkel zusammenlaufende Bögen gebildet wird, entspricht indes – als eines der „Leitfossilien“ – eindeutig der karolingischen Minuskel. Der Buchstabe n ist in der Minuskelform geschrieben, d in der geraden Form. Die Oberlänge des d wirkt verstärkt. Der Schaft des r reicht sehr weit unter die Zeile, der Schulterstrich setzt bereits auf der Höhe der Basislinie am Schaft an, der Buchstabe wirkt dadurch stark gespalten. Der leicht nach links geneigte Schaft des h ist leicht geschwungen, der stark gerundete Bogen reicht krallenförmig unter die Zeile. Die Ligaturengruppe eri zeigt ein fast doppelstöckiges e, jedenfalls mit großer Öse, aus dessen Zunge der weit unter die Basislinie reichende Schaft des r gezogen wird, dessen Schulterstrich weiterleitet zu einem i mit geradem Abschluss des Schaftes. Es ist auffällig, dass die ri-Ligatur in dieser Form geschrieben wurde und i nicht in der Form einer nach unten, weit unter die Zeile verlängerten Fahne des r. Bei u fällt auf, dass der zweite Schaft nicht gerade abschließt, sondern mit einem ganz leichten Abstrich nach rechts ausläuft. Der Abstrich des n schließt ebenfalls nicht gerade ab, er wird elegant weit nach rechts umgebogen. Dass der Buchstabe d in seiner Proportion nicht die Qualität der anderen Buchstaben aufweist, dass der Bogen des anschließenden a zu knapp an d anschließt – möglicherweise liegt dies an den Schwierigkeiten, die das Kratzen im Malgrund mit sich brachte, noch dazu in einer solch unbequem hohen Position. Mit einer Feder auf Pergament schreibt es sich leichter.

Insgesamt hat man hier jedenfalls eine Schriftprobe von hoher Qualität vor sich. Der Schreiber konnte nicht bloß schreiben in der Art eines Gelegenheitsschreibers, die Schrift weist auf einen geübten, routinierten Schreiber von Format. Ein einzelnes Wort, hier ein Name, noch dazu in dieser ungewöhnlichen Schreibsituation, ist paläographisch ungleich schwieriger zu beurteilen als ein längerer Text. Unter den acht verschiedenen Minuskelbuchstaben finden sich nur zwei, deren Eigenheiten von der „Norm“ der karolingischen Minuskel etwas abweichen. Die starke Unterlänge bei r und die Kralle bei h wirken wie Spuren von angelsächsischer Prägung. Insgesamt wird man die Schrift – mit aller gebotenen Vorsicht – vor allem aufgrund des Gesamteindrucks als frühkarolingische Minuskel aus der Zeit um 800 ansprechen. Für eine Lokalisierung der Schrift sind die paläographischen Merkmale nicht ausreichend. Es handelt sich jedenfalls nicht um eine alemannische Minuskel mit den von Natalie Maag herausgestellten Merkmalen[14].

Als wichtiges, die Datierung stützendes Indiz kann das räumliche und zeitliche Vorkommen der Belege für den Personennamen Sundarheri gewertet werden. Der Name kommt ausgesprochen selten vor; man hat ihn geradezu als „ungebräuchlich“ bezeichnet[15]. Dem Freisinger Diakon Sundarheri, dem „Lieblingsnotar“ des Bischofs Arbeo von Freising, hat Wilhelm Störmer eine eigene Studie gewidmet[16]. Er war offensichtlich ein Angehöriger einer reichen und einflussreichen Adelssippe im Umkreis des bischöflichen Eigenklosters St. Zeno zu Isen, ein Vertrauter des Bischofs Arbeo, nach Störmers Einschätzung „offensichtlich auch Vertrauensperson Herzog Tassilos III.“[17]. Joachim Jahn zählt ihn zur berühmten Sippe des Toto „von Zollern“[18]. Als Schreiber im Dienst des Bischofs Arbeo war Sundarheri 765, 767 und – mit Unterbrechungen – namentlich von 772 bis 782 tätig[19]. Als Diakon bezeichnete er sich seit 776[20]. Nach Arbeos Tod († 783) lässt sich Sundarheri wiederholt als Zeuge von Traditionen nachweisen, als Schreiber nur noch ganz vereinzelt[21]. Es lässt sich indes nicht ausnehmen, aus welchen Gründen er nicht mehr öfter als Schreiber herangezogen wurde. Das letzte Lebenszeichen stammt aus dem Jahr 818, als er sich seiner bischöflichen Lehen in Isen und Albaching begab, vielleicht auch begeben musste[22], wohl ein Zeichen dafür, dass er mit dem Ende seines Lebens rechnete.

Ein enger Verwandter dürfte jener Sundarheri gewesen sein, der zur Erstausstattung des Klosters in Isen wohl 748 eine bedeutende Schenkung beitrug[23]. Mit diesem älteren Sundarheri könnte nach Störmer der in der Schäftlarner Gründungsurkunde 772 als Zeuge auftretende Sundarheri identisch sein[24]. Als Schenker eines Waldes an das Freisinger Eigenkloster Schäftlarn ist im letzten Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts ein Sundarheri belegt[25], der nicht eindeutig zuzuordnen ist, aber jedenfalls nicht als Diakon bezeichnet wurde. Wenn der Diakon Sundarheri 791 eine Urkunde über eine Schenkung schrieb, die ein Sundarheri der Freisinger Kirche nach seinem Lebensende vermachte, so ist kaum anzunehmen, dass der Schreiber mit dem Schenker identisch war. Es wird sich um einen gleichnamigen Verwandten gehandelt haben[26]. Im Übrigen machte Störmer darauf aufmerksam, es sei „immerhin … auffällig, dass Sundarheri für mehrere –heri-Namensträger die Urkunden schreibt“[27].

In den erhaltenen süddeutschen Nekrologen kommt der Name Sundarheri nicht vor. Zwei Belege aus Verbrüderungsbüchern sind bisher in Arbeiten, die auf Personen mit dem Namen Sundarheri eingehen, nicht berücksichtigt worden. Der im Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau unter den Fratres der Benediktinerabtei Leno (Badia Leonense) bei Brescia (de monasterio quod vocatur Leonis) eingetragene Sunderari[28], über den sonst nichts in Erfahrung zu bringen ist, kommt wohl nicht in Frage. Und im älteren Verbrüderungsbuch von St. Peter in Salzburg, das im Jahr 784 angelegt wurde, findet sich unter der Rubrik Ordo communis virorum defunctorum als sehr früher Nachtrag – man beachte auch den Maiuskel-Anfangsbuchstaben im Gegensatz zu den vorhergehenden ausnahmslos mit Minuskel-Anfangsbuchstaben eingetragenen Namen – ein Sundarheri, wie üblich ohne jegliche weitere Angaben[29]. Näheres ist über ihn nicht zu eruieren. Der Eintrag ist mit einiger Vorsicht ins frühe 9. Jahrhundert zu datieren. Um den Freisinger Diakon Sundarheri kann es sich bei diesem Verstorbenen aber nicht handeln. Denn zwei Seiten davor gibt es eine eigene Rubrik Ordo sacerdotum vel diaconorum defunctorum. Hätte der Freisinger Diakon im St. Peterer Verbrüderungsbuch Aufnahme gefunden, wäre er unter den Diakonen verzeichnet worden.

Aus dem extrem kleinen Kreis von Personen, die den offenkundig seltenen Namen Sundarheri tragen und wohl einer einzigen Adelssippe angehören, ist nur von dem Freisinger Diakon Sundarheri bekannt, dass er, ein Kleriker, schreiben konnte. Laien aus seinem familiären Umfeld brauchten nicht schreiben zu können. Leider sind die Freisinger Traditionen von der Hand des Diakons nur kopial als spätere Eintragungen im Freisinger Traditionsbuch, das der Freisinger Notar Cozroh 824 anlegte[30], überliefert, sodass wir uns von seiner Art zu schreiben kein direktes Bild machen können.

Ein weiteres Argument kann die Wahrscheinlichkeit stützen, dass es der Freisinger Diakon Sundarheri war, der in St. Emmeram seinen Namen als Graffito hinterließ. Die enge Beziehung seines bischöflichen Herrn zum Hl. Emmeram ist bekannt. Es war Bischof Arbeo, der die Vita S. Emmerami verfasste[31], und man darf wohl annehmen, dass er namentlich zum Kloster St. Emmeram Beziehungen unterhielt. Den Bau der Ringkrypta dürfte Arbeo nicht mehr erlebt haben, aber es wäre gut vorstellbar, dass sein Diakon Sundarheri dem Emmeramsgrab zu einem späteren Zeitpunkt, vielleicht auch öfter, seine Reverenz erwies und bei einer dieser Gelegenheiten das Graffito anbrachte. Wenn Sundarheri seit 765 als Schreiber des Bischofs tätig war, wird er zumindest vor 750 geboren worden sein. 818, im Jahr seines letzten Lebenszeichens, wäre er demnach um die 70 Jahre alt gewesen. Die sichere Schreibweise des Graffito würde man eher einem Jüngeren zutrauen. Der paläographische Datierungsansatz „um 800“ stünde durchaus in Einklang mit der Vorstellung, dass Sundarheri damals um die 50 Jahre alt war.

Es wurde primär wohl auch damals nicht sehr geschätzt, dass jemand seinen Namen in die ziemlich neue Wandmalerei kratzte und sich damit „verewigte“. Menschlich verständlich ist auf der anderen Seite das Bestreben, an einer besonderen Stätte der Verehrung durch Hinterlassen des Namens auf Dauer „präsent“ zu sein. Im konkreten Fall war es für Sundarheri, den wir mit hoher Wahrscheinlichkeit für den Freisinger Diakon Sundarheri halten, wohl ein persönliches Anliegen, mit seinem Namen in größtmöglicher Nähe des Hl. Emmeram ein Zeichen der dauerhaften Präsenz zu setzen.


[1] Bernhard Bischoff, Bemerkungen zu den Chiemseer Inschriften, in: Vladimir Milojčić, Bericht über die Ausgrabungen und Bauuntersuchungen in der Abtei Frauenwörth auf der Fraueninsel im Chiemsee 1961–1964 (Bayerische Akademie der Wissenschaften, phil. – hist. Kl., Abhandlungen N. F. 65 A, München 1966) 275–281, hier 275f. mit Taf. LXXXIII a–c.

[2] Bischoff, Bemerkungen (wie Anm. 1) 276. Zu den Graffiti von Corvey s. Felix Kreusch, Beobachtungen an der Westanlage der Klosterkirche zu Corvey (Bonner Jahrbücher, Beihefte  9, Köln/Graz 1963) 49ff. und Abb. 26–30.

[3] Dieter Geuenich, Renate Neumüllers-Klauser und Karl Schmid (Hgg.), Die Altarplatte von Reichenau-Niederzell (MGH Libri memoriales et necrologia, N. S. I, Supplementum, Hannover 1983).

[4] Die Zitate in Die Altarplatte (wie Anm. 3) 12 und 15.

[5] Die Altarplatte (wie Anm. 3) 14 mit Anm. 16.

[6] Die Altarplatte (wie Anm. 3) 17.

[7] Die Altarplatte (wie Anm. 3) 17 –19 („3. Vergleichbare Überlieferungen“).

[8] S. bei Detlev Kraack und Peter Lingens, Bibliographie zu historischen Graffiti zwischen Antike und Moderne (Medium Aevum Quotidianum, Sonderbd. 11, Krems 2001) 209 Nr. 1642 und 1645 die detaillierten Hinweise auf die Bände 1 (1977) und 5 (1997) des Corpus Inscriptionum Medii Aevi Helvetiae. Die frühchristlichen und mittelalterlichen Inschriften der Schweiz.

[9] Der Hinweis und das Bild sind der Aufmerksamkeit von Eva Regina Stain (Wien) zu danken, die mein Faible für Graffiti kennt und teilt (Winfried Stelzer, Datierte steirische Graffiti des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark 107 [2016] 37–61, hier 42 Anm. 22 und 60 Nr. 25). Für die Mitteilung möchte ich ihr herzlichst danken.

[10] Matthias Exner, Gemalte monumentale Inschriften. Kunsthistorische Einordnung ausgewählter frühmittelalterlicher Denkmäler aus Bayern, in: Walter Koch und Christine Steininger (Hgg.), Inschrift und Material, Inschrift und Buchschrift. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik Ingolstadt 1997 (Bayerische Akademie der Wissenschaften, philos.–histor. Klasse, Abhandlungen N. F., Heft 117 (München 1999) 15–30, hier 23–25 über die Ringkrypta, die wörtlichen Zitate  24 und 25. Vgl. auch Matthias Exner, Denkmäler frühmittelalterlicher Wandmalerei in Bayern. Bestand, Ergebnisse, Aufgaben, in: Ders. (Hg.), Wandmalerei des frühen Mittelalters. Bestand, Maltechnik, Konservierung (ICOMOS [International Council On Monuments and Sites], Hefte des Deutschen Nationalkomitees 23, München 1998) 99–118, hier 104–107 über die Ringkrypta mit Abb. 141–147 und 164, sowie Jürgen Pursche, Zur Konservierung der frühmittelalterlichen Wandmalereien in der Ringkrypta von St. Emmeram in Regensburg, in: Exner (Hg.), Wandmalerei 119–128 mit Abb. 165–170. – In diesen Arbeiten – s. auch Anm. 12 – finden sich ausreichende Hinweise auf frühere Publikationen.

[11] Sebastian Scholz, Gemalte monumentale Inschriften. Paläographische Einordnung ausgewählter frühmittelalterlicher Denkmäler aus Bayern, in: Walter Koch und Christine Steininger (Hgg.), Inschrift und Material (wie Anm. 10) 31–44, hier 36–38 über die Ringkrypta, das wörtliche Zitat 38, dazu Tafel 5 Abb. 8 a und b (S. 36 irrig als „Abb. 6 a, b“ zitiert).

[12] Walter Haas, Max Piendl, Hans K. Ramisch, Beiträge zur Baugeschichte von St. Emmeram in Regensburg. Ramwoldkrypta, Ringkrypta, Kapitelsaal, in: Thurn und Taxis-Studien 2 (Kallmünz 1962) 127–156, hier 146–153 Hans K. Ramisch, Die Wandmalereien in der Ringkrypta und im Verbindungsgang zur Ramwoldkrypta, 148 der Hinweis auf die Pilgerinschriften. Der Hinweis wurde wiederholt bei Hans Ramisch, Die Flechtbandmalereien in der Ringkrypta von St. Emmeram in Regensburg, in: Ratisbona Sacra. Das Bistum Regensburg im Mittelalter. Ausstellung anläßlich des 1250jährigen Jubiläums …, Diözesanmuseum Obermünster Regensburg … 1989 (München/Zürich 1989) 200–201 Kat.-Nr. 106, hier 201.

[13] Wie mir Sebastian Scholz (Universität Zürich) am 23. Juni 2020 mitteilte, hatte er damals den „Auftrag des Bayerischen Landesdenkmalamtes, Schriftbänder in der Ringkrypta zu analysieren, bevor diese aus konservativen Gründen wieder überdeckt wurden.“ Graffiti waren davon nicht betroffen.

[14] Natalie Maag, Alemannische Minuskel (744–846 n. Chr.). Frühe Schriftkultur im Bodenseeraum und Voralpenland (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 18, Stuttgart 2014). – Die paläographische Beurteilung und Einschätzung der Schrift des Graffito fand die Zustimmung von Bernhard Zeller (Wien), mit dem ich die Probleme diskutieren konnte. Für seine Hilfsbereitschaft möchte ich ihm herzlich danken. – Die Durchsicht der wichtigsten einschlägigen paläographischen Publikationen von Bernhard Bischoff (Die Südostdeutschen Schreibschulen I und II, Kalligraphie in Bayern, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts) sowie der CLA war nicht ergiebig.

[15] Maria Neumann, Die bairische Volksordnung zur Karolingerzeit auf  Grund genealogischer Untersuchungen (ungedr. phil. Diss. der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen 1947) 205.

[16] Wilhelm Störmer, Sundarheri scriptor, der Lieblingsnotar Bischof Arbeos in den Traditionen Freising, in: Theo Kölzer u. a. (Hgg.), De litteris, manuscriptis, inscriptionibus … Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Koch (Wien/Köln/Weimar 2007) 17–25. – S. auch Neumann, Die bairische Volksordnung (wie Anm. 15) 205–211.

[17] Störmer, Sundarheri 24.

[18] Joachim Jahn, Bayerische „Pfalzgrafen“ im 8. Jahrhundert? Studien zu den Anfängen Herzog Tassilos (III.) und zur Praxis der fränkischen Regentschaft im agilolfingischen Bayern, in: Früh- und hochmittelalterlicher Adel in Schwaben und Bayern (Regio 1, Forschungen zur schwäbischen Regionalgeschichte, Sigmaringen 1988) 80–114, hier 110ff. sowie ders., Virgil, Arbeo und Cozroh. Verfassungsgeschichtliche Beobachtungen an bairischen Quellen des 8. und 9. Jahrhunderts, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 130 (1990) 201– 292, hier 248.

[19] Störmer, Sundarheri 17f.

[20] Neumann, Die bairische Volksordnung (wie Anm. 15) 205.

[21] Störmer, Sundarheri 23 mit Anm. 31.

[22] Störmer, Sundarheri 23.

[23] Störmer, Sundarheri 23f.

[24] Alois Weissthanner, Die Traditionen des Klosters Schäftlarn 760–1305 (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N.F. 10/1, München 1953) 6 Nr. 1b, dazu Störmer, Sundarheri (wie Anm. 16) 23 Anm. 35.

[25] Weissthanner, Die Traditionen (wie Anm. 24) 17ff. Nr. 12, dazu Störmer, Sundarheri 23 Anm. 35.

[26] So Störmer, Sundarheri 23 bei Anm. 32 gegen seine eigene frühere Ansicht Wilhelm Störmer, Adelsgruppen im früh- und hochmittelalterlichen Bayern (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 4, München 1972) 129 und gegen Gottfried Mayr, Studien zum Adel im frümittelalterlichen Bayern (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 5, München 1974) 32.

[27] Störmer, Sundarheri 24 Anm. 37.

[28] Paulus Piper (ed.), Confraternitates Augienses, in: MGH Libri confraternitatum Sancti Galli, Augiensis, Fabariensis ed. Paulus Piper (Berlin 1884) 145–352, hier 175 Sp. 68 Nr. 25; Facsimile: Johanne Authenrieth, Dieter Geuenich und Karl Schmid (Hgg.), Das Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau (Einleitung, Register, Faksimile) (MGH Libri memoriales et necrologia, N. S. I, Hannover  1979) p. 18 Sp. A Abschnitt 3 (Farbdigitalisat der Seite).

[29] Ausgabe: Sigismundus Herzberg-Fränkel (ed.), Monumenta necrologica monasterii S. Petri Salisburgensis, in: MGH Necrologia Germaniae 2: Dioecesis Salisburgensis (Berlin 1904) 3–64, hier 31 Sp. 77 Z. 41; Facsimile: Karl Forstner, Das Verbrüderungsbuch von St. Peter in Salzburg (Codices Selecti phototypice impressi 51, Graz 1974) p. 22, Spalte 5, vorletzte Zeile (Digitalisat der Seite).

[30] München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, HL Freising 3a (Cozroh-Codex).

[31] Bernhard Bischoff (Hg.), Arbeo: Vita et passio sancti Haimhrammi martyris. Leben und Leiden des hl. Emmeram (München 1953) (kostenpflichtige Version).

Veröffentlicht unter Graffiti, Itinera alia, Paläographie | Verschlagwortet mit , , , , | Kommentare deaktiviert für Ein frühkarolingisches Graffito in der Ringkrypta von St. Emmeram in Regensburg

Eine Handschrift aus der Burgbibliothek Kreuzenstein (Beobachtungen aus Auktions- und Antiquariatskatalogen I)

In einer vom Auktionshaus Christie’s für den Zeitraum 1. bis 16. Oktober 2020 angesetzten Online-Auktion wird als lot 84 ein „Austrian chained binding“ angeboten, das ein 1440 datiertes Papiermanuskript, enthaltend einen Traktat aus dem Umkreis der Universität Wien und Predigten, umschließt.

Die online zugängliche Beschreibung ist freilich, was die Besitzgeschichte der Handschrift betrifft, nicht ganz akkurat, und sie lässt sich außerdem in einem wichtigen Punkt ergänzen.

Zur „Provenance“ der Handschrift heißt es: „Piarists of Vienna (early inscription) – Johann Ernst von Jamaigne (1648-1719, Protonotary Apostolic in Waidhofen an der Thaya; engraved armorial bookplate) – Sotheby’s, 15 December 1953, lot 106 (bought through Offenbacher) – Cornelius J. Hauck (his sale, Christie’s New York, 27 July 2006, lot 106).“
Nun waren die Piaristen von Maria Treu in Wien unzweifelhaft Eigentümer der Handschrift, wie der auch in der Beschreibung erwähnte Besitzvermerk zeigt:

Christie’s, Katalog lot 84, f. 1r (Ausschnitt)

Allerdings befand sich die Handschrift erst ab 1719 in den Händen der Piaristen, deren Wiener Niederlassung sich damals auch erst in Errichtung befand. Der derzeit erste bekannte Besitzer war vielmehr der von Christie’s an zweiter Stelle genannte Weltpriester Johann Ernst Jamaigne (Jamagne), der seine Bibliothek den Wiener Piaristen vermacht hatte. Jamaigne – sein Name findet sich in zahlreichen Schreibweisen, von denen auch nicht alle in der GND erfasst sind – wurde 1648 wahrscheinlich in Wien geboren und ist am 10. Dezember 1719 als Pfarrer und Dechant von Waidhofen an der Thaya verstorben. Seit 1673 war er Priester und zunächst als Vikar (in dieser Zeit erwarb er außerdem ein Doktorat der Universität Padua) und dann Pfarrer in Altpölla tätig. Er war ein engagierter Seelsorger, Prediger und Autor – außerdem besaß er aber eine stattliche Sammlung mittellalterlicher Handschriften. Auf diesen Aspekt seiner Biographie[1] wird vielleicht einmal in einem anderen Iter-Beitrag eingegangen werden. Hier sind sein Name und die Erwähnung der Wiener Piaristenbibliothek aber vor allem ein Hinweis auf den nächsten Besitzer der Handschrift, der in der Katalogbeschreibung leider unterschlagen wird.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts baute der österreichisch-ungarische Adelige, Abenteurer und Philantrop Graf Johann Nepomuk Wilczek (1837-1922) die Ruine der in der Nähe von Korneuburg bei Wien gelegenen Burg Kreuzenstein wieder auf und richtete sie als Museum für seine umfangreichen Sammlungen ein.

Kreuzenstein (Postkarte 1868, gemeinfrei, Wikipedia Commons)
Kreuzenstein (Aufnahme 2015, Anna Saini [Wikipedia Commons, CC BY-SA 4.0])

Zu diesen Sammlungen gehörte auch eine Bibliothek mit einem nicht unbedeutenden Bestand an mittelalterlichen Handschriften und Inkunabeln, deren wesentlichen Bestandteil die von Wilczek zu einem leider nicht genau bekannten Zeitpunkt erworbenen Handschriften der Wiener Piaristenbibliothek bildeten. Einen ausführlichen Überblick über den Handschriftenbestand hat Franz Lackner 1999 veröffentlicht[2]; ein von ihm am 1. März 2000 erstelltes Update der Handschriftenliste findet sich hier.

Dass sich die derzeit bei Christie’s angebotene Handschrift tatsächlich in der Kreuzensteiner Bibliothek befunden hat, lässt sich sicher nachweisen. Den Angaben im Auktionskatalog zufolge enthält der Codex zunächst den Tractatus de duodecim partibus fidei des Magister Nicolaus de Gretz. Dieser Text kann nach seinem Initium Dilectissimi quicumque homo habens usum rationis vult venire in regnum celeste … unschwer genauer identifiziert werden als die Expositio symboli apostolorum des Nicolaus de Graetz. Der Autor dieses in zahlreichen Handschriften überlieferten Textes (Stegmüller, RB 5813 und Ergänzungsband) ist Nikolaus von Graz , der im Sommersemester 1415 an der Universität Wien immatrikuliert wurde und sein gesamtes weiteres Leben in Wien verbrachte. Nach dem Erwerb des Magistergrades der Artes (1421) begann er ein Studium der Theologie, das er 1439 mit dem Erwerb des Doktorats bekrönte. Schon am 28. September 1436 wurde er als Kanoniker des Kapitels von St. Stephan installiert. Vor dem 4. Oktober 1441 ist er verstorben[3].

Auf Blatt 96v, nach dem Ende der Expositio, findet sich ein mit 17. Februar 1440 datierter Schreibervermerk: Explicit tractatus de duodecem [!] partibus fidei, finitus feria tertia proxima post festum Valentini per manus Petri Bawtz moraui de Olomuntz, Anno domini etc. 40.

Christie’s Katalog lot 84, f. 96v

Im – kodikologisch eine ursprünglich selbstständige Einheit gewesenen – zweiten Teil der Handschrift (f. 97-406) ist der Winterteil einer Predigtsammlung überliefert, deren genauere Bestimmung der Auktionskatalog nicht bietet und die aufgrund unzureichender Anhaltspunkte auch hier nicht versucht werden kann.

Einen sicheren Hinweis auf die Bibliothek der Burg Kreuzenstein liefert die auf einem auf dem Hinterdeckel aufgeklebten Papierschild eingetragene Nummer 5874, die auch mit Bleistift auf f. 1r vermerkt ist.


Diese Nummer verweist auf den einzigen derzeit bekannten Gesamtüberblick über den Inhalt der Kreuzensteiner Sammlung, ein um 1910 erstelltes gedrucktes Inventar über den „Fideikommiss Burg Kreuzenstein“. Die wie alle Einträge extrem knapp gehaltene Angabe zur Nummer 5874 lautet „Nicolaus de Grätz I, Man., Pap., XV., Folio“[4] und stimmt somit mit dem Inhalt des bei Christie’s angebotenen Bandes überein.

Nur nebenbei sei erwähnt, dass Ms. 5874 einer der beiden Trägerbände der Fragmente des sogenannten Kreuzensteiner Passionsspieles ist, die der Germanist Joseph Strobl, der viele Jahre lang als Bibliothekar für Graf Wilczek tätig war, ausgelöst und veröffentlicht hatte, bevor sie 1915 bei einem Brand in Kreuzenstein vernichtet worden sind[5].

Zum Schluss soll noch auf einen Aspekt der Handschrift hingewiesen werden, der aus der Sicht des Auktionshauses wohl besonders attraktiv ist – der Codex ist ein Kettenband: „Intact codices from medieval chained libraries are extremely rare at auction“. Ohne dazu ein abschließendes Urteil äußern zu können, sind hier allerdings gewisse Vorbehalte angebracht. Es ist auffällig, dass viele aus der Kreuzensteiner Bibliothek stammende Handschriften Kettenbände sind – so etwa die vier Bände des sogenannten Kreuzensteiner Legendars (seit 1992 Wien, ÖNB Cod. Ser. n. 35753 – dieser Band ist digitalisiert, 35754, 35755 und 35756). Schon Walter Jaroschka und Alfred Wendehorst haben in ihrem 1957 veröffentlichten Aufsatz über das Legendar festgestellt, daß Wilczek die Bände „wie auch einige andere Handschriften seiner Bibliothek durch Anbringung von Ketten am hinteren Rückendeckel zu einem liber catenatus adaptieren“ ließ[6] und damit die Ketten ins 19. Jahrhundert datiert.

Wien, ÖNB, Cod. Ser. n. 35753, Hinterdeckel

Graf Wilczek versuchte mit dem Wiederaufbau von Kreuzenstein nichts weniger als die perfekte mittelalterliche Burg zu verwirklichen; die darin beherbergte Bibliothek sollte eine perfekte mittelalterliche Bibliothek sein – mit angeketteten Bänden. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Ketten an den Kreuzensteiner Handschriften nicht aus dem Mittelalter stammen, sondern das Ergebnis historistischen Gestaltungswillens sind. Aber zur abschließenden Klärung dieser Frage sind weitere vergleichende Untersuchungen notwendig, die durch die außerordentlich betrübliche Zerstreuung der Bibliothek sehr erschwert sind.


Nachtrag 18.10.2020: die Handschrift wurde für 25000 $ (inkl. „buyer’s premium“) verkauft. Falls jemandem die erwerbende Institution / Person bekannt ist, bin ich für eine Mitteilung (Email) sehr dankbar.


[1] Einen knappen Überblick gibt Uwe Harten, Art. „Jamaigne, Johann Ernst (Jean Ernest) von (de)‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_J/Jamaigne_Johann.xml (1.10.2020).

[2] Franz Lackner, Handschriften aus der Burg Kreuzenstein in der Österreichischen Nationalbibliothek (Codices Ser. n. 31.373, 32.850, 35.704, 35.746, 35.753-35.756 und 38.978), in: Codices manuscripti Heft 27/28 ( September 1999) 9-36.

[3] Sein akademischer Lebenslauf ist übersichtlich hier zusammengefasst: Nikolaus de Greczz super Mura (RAG-ID: ngND2Y678Nl46cjdhMmc0) (6.10.2020). Einen Überblick über ihm zugeschriebene Werke gibt Xystus Schier, Specimen Styriae literatae (Wien o. J. [c. 1769]) (ÖNB-Digitalisat) p. 6. Vgl. auch Joseph Aschbach, Geschichte der Universität Wien im ersten Jahrhunderte ihres Bestehens (Wien 1865) p. 467-469 (Digitalisat) sowie Hermann Göhler, Das Wiener Kollegiat-, nachmals Domkapitel zu St. Stephan in Wien 1365-1554. Hrsg. v. Johannes Seidl, Angelika Ende und Johann Weißensteiner (Wien / Köln / Weimar 2015) 296 Nr. 157.

[4] Eingesehen wurde das unter der Signatur G 505 in der Bibliothek des Niederösterreichischen Landesarchivs in St. Pölten verwahrte Exemplar.

[5] Joseph Strobl, Kreuzensteiner Passionsspiel, in: Joseph Strobl, Aus der Kreuzensteiner Bibliothek. Studien zur deutschen Literaturgeschichte (Wien 1907) 3-23 (Digitalisat) (auch, mit gleicher Paginierung, Halle 1909, Digitalisat).

[6] Walter Jaroschka – Alfred Wendehorst, Das Kreuzensteiner Legendar. Ein Beitrag zur Geschichte der österreichischen Hagiographie des Spätmittelalters, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 65 (1957) 369-418, hier 370. Auch Franz Lackner lässt in seiner Beschreibung des Ms. 5667 im Katalog der Datierten Handschriften in Niederösterreichischen Archiven und Bibliotheken (online zugänglich hier) leise Zweifel erkennen, ob die Reste der am Einband vorfindlichen Kette original sind.

Veröffentlicht unter Beobachtungen aus Auktionskatalogen, Bibliotheksgeschichte, Kodikologie | Verschlagwortet mit , , | Kommentare deaktiviert für Eine Handschrift aus der Burgbibliothek Kreuzenstein (Beobachtungen aus Auktions- und Antiquariatskatalogen I)

Ein Fragment des „Dietsche Doctrinale“ zwischen Wien und Berlin

Auf der Suche nach noch unbekannten Werken versuchten Forscher bereits im 19. Jahrhundert ihr Glück bei als Makulatur in Einbänden erhalten gebliebenen Fragmenten. Bei der Erforschung wurden beispielsweise als Spiegelblätter eingeklebte Pergamentstücke oft kurzerhand abgelöst, die Trägerbände aber nur selten notiert. Solch zerrissene Überlieferungszusammenhänge sind heute ein Ärgernis der modernen Fragmentenforschung. In Projekten wie jenem zur Erforschung der Fragmente des Klosters Mondsee (gefördert durch GoDigital 2.0 der Österreichischen Akademie der Wissenschaften), dessen Ziel es ist, die Überlieferung aufzuarbeiten und online zur Verfügung zu stellen, können teilweise Trägerbände abgelöster Fragmente ausfindig gemacht werden. Umgekehrt finden sich in den Deckeln oft mehr oder weniger gut lesbare Leimabklatsche entnommener Stücke, für die wiederum nach den „Originalen“ gefragt werden muss.

Dietsche Doctrinale: Abklatsch am inneren Vorderdeckel von Wien, ÖNB, Cod. 4013 (gespiegelt und gedreht) und abgelöstes Fragment in der Staatsbibliothek zu Berlin – PK

Einen solchen Fall stellen die Leimabklatsche an den Innenseiten des Vorder- und Hinterdeckels eines Mondseer Codex der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) in Wien dar (ÖNB Cod. 4013, F-xhxj)[1]. Sie enthalten das niederländische Lehrgedicht Dietsche doctrinale in einer Abschrift des 14. Jahrhunderts[2]. Eine Recherche nach den Originalblättern in den Beständen der ÖNB war erfolglos, tatsächlich befinden sich die Fragmente heute unter der Signatur Ms. germ. fol. 751, Heft 7/fol. 29f (F-np2j) in der Staatsbibliothek zu Berlin (Rekonstruktion F-7x5c)[3].

Die zwei Blätter tragen den privaten Bibliotheksstempel des bedeutenden Germanisten August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der sich für die altniederländische Sprache besonders interessierte. Er hielt sich – wie auch aus seiner autobiographischen Lebensbeschreibung hervorgeht – 1834 im Lauf einer längeren Forschungsreise auch in Wien auf. Er bearbeitete dort unter anderem gemeinsam mit dem Botaniker und damaligen Skriptor der Hofbibliothek Stephan Endlicher die althochdeutschen „Monseer Fragmente“ in der Hofbibliothek (heute ÖNB Cod. 3093*). Endlicher durchsuche für die kurz danach erschiene Edition des Textes alle Mondseer Handschriften der Bibliothek und stieß dabei wahrscheinlich auch auf das Fragment des Dietsche Doctrinale[4]. Ob Hoffmann von Fallersleben schon zu diesem Zeitpunkt in den Besitz der Blätter kam, ist nicht geklärt. Dass die Fragmente tatsächlich in seinem Besitz waren, geht jedoch auch aus anderen Quellen hervor. Im Jahr 1846 war er gezwungen, seine Privatbibliothek zum Kauf anzubieten; in dem im Druck erschienenen Verkaufskatalog finden sich die Stücke unter der Nummer XXIV.7 (Bruchstücke niederländischer Gedichte des 14.–15. Jahrhunderts) verzeichnet[5]. Seine Bibliothek wurde schließlich nach Berlin verkauft, wodurch der Weg der Fragmente des Dietschen Doctrinale von Wien nach Berlin einigermaßen geklärt ist.


[1] Die Bibliothek des Klosters Mondsee wurde nach dessen Auflösung 1791 zerstreut, die Handschriften kamen mehrheitlich an die Hofbibliothek, heute Österreichische Nationalbibliothek.

[2] Im Abklatsch repräsentiert sind in etwa die Verse 139–236 und 1130–1220 des 3. Buches, der abgeklatschte Text ist aber in sehr schlechtem Zustand, teilweise sind nur einzelne Buchstaben einer Zeile vorhanden.

[3] Gunilla Ljunggren verzeichnet in ihrem Werk zur mittelniederdeutschen Version „Leyen Doctrinal“ auch die fragmentarische Überlieferung des Dietschen Doctrinale. Darunter findet sich auch das damals noch als Depositum in Tübingen gelagerte Berliner Fragment, dessen Text sich zur Hälfte mit jenem in den Wiener Leimabklatschen (die schließlich nur die Hälfte des auf den Originalblättern erhaltenen Textes aufweisen können) deckt, womit ein wichtiger Hinweis auf die korrekte Identifizierung gewonnen wurde. Gunilla Ljunggren, Der Leyen Doctrinal. Eine mittelniederdeutsche Übersetzung des mittelniederländischen Lehrgedichts Dietsche Doctrinale (Lunder Germanistische Forschungen 35, Lund 1963) 26.

[4] [August Heinrich] Hoffmann von Fallersleben, Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Bd. 2 (Hannover 1868) 246–255; siehe auch: Elke Krotz, Auf den Spuren des althochdeutschen Isidor. Studien zur Pariser Handschrift, den Monseer Fragmenten und zum Codex Junius 25 (München 2002) 155f.

[5] [August Heinrich Hoffmann von Fallersleben,] Bibliotheca Hoffmanni Fallerslebensis (Leipzig 1846) 48; Eine Identifizierung mit den Leimabklatschen in Wien ist durch die abgedruckten Anfänge der Kapitel eindeutig möglich.

Bildnachweis Berlin: Staatsbibliothek Berlin – PK http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB000033BB00000000

Veröffentlicht unter Fragmenta | Verschlagwortet mit , , | Kommentare deaktiviert für Ein Fragment des „Dietsche Doctrinale“ zwischen Wien und Berlin

Can you see the journey? A visualization mock-up of the early years of the Pez correspondence

Digital Humanities may be fashionable, but they are not a fad. At all times, humanistic thinking has interacted with other forms of scientific epistemology—and sometimes it has even exerted pressure on other fields, like with the historicizing of religion in the Enlightenment. More often, however, the humanities have been forced to defensively safeguard, and try to methodologically underpin, their epistemic standards and claims. Were Wilhelm Dilthey alive today, he might write his Historik in reaction to data science, whose present epistemic eddying can be viewed as similar to that of the natural sciences in late 19th-century Germany.

Humanist scholars engaging with digital methods may thus be advised to formulate their questions before artificial intelligence does it for them. Part of this process is a highly experimental approach to historical source material that is often considered awkward: Quantitative descriptions or visualizations of patterns and trends traceable in a text or a defined series of sources frequently do not follow sound statistical methods, instead merely offering intuitive juxtapositions of coloured chunks. It is precisely this approach that can sometimes lead to new insights, however, as the following paragraphs will attempt to show.

During the past years, the members of the Pez project have set out not only to transform previous scholarly work into machine-readable data, but also to explore the possibilities of data visualization and analysis. Inspired by the “Design sprints” in the context of the COST Action “Reassembling the Republic of Letters”,[1] the Pez group put in several days of intense work with Marco Quaggiotto, an interface design specialist from Milan Politecnico, in September 2017. At the centre of this cooperation were the first ten years of the Pez correspondence, which have already been published in print (see below). The main idea behind the visualization was to relate two parameters: the number of occurrences of selected terms or names of persons in the correspondence during the period under scrutiny, and the exact indication of those occurrences in the individual letters. The former parameter—here: total occurrences of the term “Jesuits”—is depicted in a flow diagram on the right-hand side of the image (proceeding from bottom to top). The latter parameter appears on the left in the shape of a coloured dot for each letter in which the term occurs (with white spots indicating letters in which the term is not mentioned). These dots and spots are placed on vertical bars representing individual correspondents; ideally, the overall length of the bar shows the lifespan of the correspondent, while the black sections indicate the duration of the correspondence with the brothers Pez.

Mock-up visualization of occurrences of the term „Jesuits“ in the Pez correspondence, 1709-1718 (by Marco Quaggiotto).

But what does all this have to do with the topic of library visits and journeys? Following a long discussion about the visualization parameters, the group agreed on a reduced colour-coding scheme for the Pez correspondents that is limited to the following categories: green / Benedictine (of any congregation); blue / Catholic, but not Benedictine (thus including lay scholars and members of other religious communities alike); orange / Protestants (of any profession); red / converts to Catholicism (not taking into consideration their dates of conversion, however).

The initial question underlying the visualization was answered rather unsurprisingly: Jesuits became an important topic at the time of the “Cura salutis” controversy in 1715.[2] However, the Pez group was surprised by the accumulation of blue bars—following an exclusive sequence of “green” correspondents—starting in 1712, with continuous new additions through 1717. This shows how the Pez correspondence expanded, after the first three years, from a purely inner-Benedictine network into one reaching out to other Catholic (and eventually, Protestant) scholars.

Cod. Mell. 1850, documneting the library visits of the brothers Pez, in particular those of 1717; here: 217r, concerning Oberaltaich (at http://unidam.univie.ac.at/id/488103).

The point here is that there seems to be a punctual correlation of this expansion with the library travels undertaken by the brothers. Each year, starting in 1712 and culminating in their extended library tour in 1717, the brothers visited local libraries in their surroundings;[3] before 1712, Bernhard Pez had relied on circular letters to his confrères to reach potential correspondents. The visualization clearly shows the impact of his changed strategy—but also to some degree the limited sustainability of these new contacts, which did not always result in longer correspondences. (Generally speaking, assessing the relation between itineraries and correspondences can be a fruitful way to digitally look at the geographic dimension of early modern intellectual history.[4]) To be sure, these insights will not be followed here by a thorough analysis of the actual individual correspondences, as that is what the edition is for; nor does this interpretation claim to consider all the possible factors leading to the image seen above. What the visualization does indicate, however, is that library visits can enhance a correspondence network—though not necessarily in a sustainable fashion—and that data visualizations can often answer questions that were not even asked at the outset.


[1] See Reassembling the Republic of Letters in the Digital Age. Standards, Systems, Scholarship, eds. Howard Hotson, Thomas Wallnig (Göttingen 2019).

[2] Thomas Wallnig – Thomas Stockinger, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentar, Bd. 1: 1709–1715 (Vienna 2010), 14.

[3] Wallnig – Stockinger, Gelehrte Korrespondenz 1, 5; Thomas Stockinger – Thomas Wallnig – Patrick Fiska – Ines Peper – Manuela Mayer, Die gelehrte Korrespondenz der Brüder Pez. Text, Regesten, Kommentar, Bd. 2: 1709–1716–1718 (Vienna 2010), 12 (partial volumes 1 & 2).

[4] Vladimir Urbanek, Individual Itineraries, in Hotson – Wallnig (eds.), Reassembling the Republic of Letters, 325– 332.

Veröffentlicht unter Bibliotheksgeschichte, Uncategorized | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Can you see the journey? A visualization mock-up of the early years of the Pez correspondence

Neue Belege für den Schreiber „Rudigerus“ (12. Jh.)

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts lässt sich in österreichischen Handschriften ein Schreiber nachweisen, der unter dem Namen Rudigerus in die Literatur eingegangen ist. Der Name beruht auf einer Verlesung und einer fälschlichen Zuweisung eines späteren Kolophons in einer Handschrift aus dem Zisterzienserkloster Baumgartenberg, die heute in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt ist (ÖNB Cod. 696, fol. 209v)[1]

Kolophon in ÖNB, Cod. 696, fol. 209v

Neben der auffälligen Schriftstilisierung, ist vor allem die Verbreitung der Handschriften bemerkenswert, an denen „Rudigerus“ beteiligt war. Er findet sich in Bänden der Zisterzienserstifte Heiligenkreuz, Baumgartenberg und Rein ebenso wie im Benediktinerstift Garsten. Dort ist er unter anderem auf vielen Seiten des Traditionscodex des Stiftes nachweisbar (siehe die Auflistung der bekannten Belege unter  http://www.scriptoria.at/cgi-bin/scribes.php?ms=AT8500-696).

Sein Oeuvre kann nun durch eine Handschrift und zwei Fragmente erweitert werden, die heute in Linzer Institutionen aufbewahrt werden.

In der Oberösterreichischen Landesbibliothek ist „Rudigerus“ nicht nur in den bereits bekannten Baumgartenberger Handschriften nachweisbar, sondern auch noch im ebenfalls aus Baumgartenberg stammenden Cod. 337. Die 160 Blatt dieses Bandes bilden eine kodikologische Einheit, die gänzlich von seiner Hand stammt.

Oberösterreichische Landesbibliothek, Cod. 337, fol. 1v, Schreiber „Rudigerus“

Ebenfalls von „Rudigerus“ Hand stammt ein Fragment eines Lektionars, das als Cod. 591 (Digitalisat) in der OÖLB aufbewahrt wird. Erhalten ist die untere Hälfte eines in Langzeilen beschriebenen Einzelblatts. Das Blatt wurde laut beiliegendem Umschlag am 10. März 1910 aus dem Druck mit der Signatur D. III. 50 ausgelöst. Der Eintrag des ehemaligen Bibliothekars und Verfassers des Handschriftenkatalogs Konrad Schiffmann lässt allerdings trotz der genauen Information keine Identifizierung des Trägerbandes zu, da die Signaturen der Druckschriften geändert wurden und keine Konkordanzliste existiert. Damit besteht im Moment keine Möglichkeit, die ehemalige Bibliotheksheimat des Blattes oder der zerschnittenen Handschrift zu bestimmen. Am wahrscheinlichsten scheint das Benediktinerstift Garsten, aus dessen ehemaligen Bibliotheksbestand eine große Anzahl an Handschriften, Inkunabeln und alten Drucken heute in der OÖLB verwahrt wird.

Oberösterreichische Landesbibliothek, Cod. 591, Schreiber „Rudigerus“

Auch im Oberösterreichischen Landesarchiv lässt sich „Rudigerus“ nachweisen. In der Sammlung Buchdeckelfunde (Signatur III.14.f.) ist seine Hand auf einem Doppelblatt aus einer Handschrift des Alten Testaments zu finden. Erhalten sind Teile der Bücher Micha und Amos. Die Maiuskeln der Satzanfänge der rechten Spalte jedes Blattes sind rot nachgezeichnet, die der linken Spalte waren wahrscheinlich ursprünglich in heller Farbe nachgezeichnet, ähnlich wie es z.B. auch in ÖNB Cod. 696 zu finden ist. Das Blatt war offensichtlich ursprünglich als Einband verwendet und mit einem Titelblatt überklebt. Weder der heutige Umschlag des Fragments noch das Findmittel des Archivs geben Aufschluss über den Trägerbandes und damit einen Hinweis auf die Bibliotheksheimat der zerschnittenen Handschrift. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Trägerband aus dem Archivbestand des OÖLA stammt und damit einen Bezug zu Oberösterreich hat[2].

Oberösterreichisches Landesarchiv, Buchdeckelfunde, III.14.f

Ein weiteres Indiz auf die Herkunft gibt die Verwendung von punctus flexus, wie es für Zisterzienserhandschriften üblich ist[3] . Es scheint damit zumindest möglich, dass hier ein Teil einer Handschrift des oberösterreichischen Zisterzienserklosters Baumgartenberg vorliegt, dessen Archivbestände in geringen Resten heute im OÖLA aufbewahrt werden.

Mit diesen Neufunden verstärkt sich der Eindruck, dass der Mittelpunkt von „Rudigerus’“ Tätigkeit im heutigen Oberösterreich lag. Von 21 bekannten Handschriften stammen 14 aus den oberösterreichischen Klöstern Garsten (8) und  Baumgartenberg (6), zwei vermutlich aus oberösterreichischen Klöstern. Dagegen stehen drei Handschriften aus dem niederösterreichischen Zisterzienserstift Heiligenkreuz und zwei weitere Bände, die vorsichtig dem steirischen Zisterzienserstift Rein zugewiesen werden.


[1] Friedrich Simader, Neue romanische Handschriften aus dem Zisterzienserstift Rein. Codices Manuscripti 34/35 (2001) 1-14, hier 4 und zuletzt Alois Haidinger – Franz Lackner, Die Bibliothek und das Skriptorium des Stiftes Heiligenkreuz unter Abt Gottschalk (1134/1147) (Codices manuscripti et impressi, Supplementum 11,  Purkersdorf 2015) 28 mit Anm. 67.

[2] Vereinzelt enthält die Sammlung von Buchdeckelfunden auch Fragmente, die entweder erworben wurden oder durch Schenkung ins Archiv gelangten.

[3] Siehe Nigel Palmer, Simul cantemus, simul pausemus. Zur mittelalterlichen Zisterzienserinterpunktion, in: Lesevorgänge. Prozesse des Erkennens in mittelalterlichen Texten, Bildern und Handschriften, hg. v. Eckart Conrad Lutz, Martina Backes, Stefan Matter (Medienwandel, Medienwechsel, Medienwissen 11, Zürich 2010) 483-569.

Veröffentlicht unter Fragmenta, Kodikologie, Paläographie | Verschlagwortet mit | Kommentare deaktiviert für Neue Belege für den Schreiber „Rudigerus“ (12. Jh.)

Ein Gedenktag: Ambrosius von Heiligenkreuz

In gut monastischer Tradition soll heute des Ambrosius von Heiligenkreuz gedacht werden. Aus dem Nekrolog des Zisterzienserstiftes Lilienfeld[1] wissen wir, dass er an einem 14. März verstorben ist – der Eintrag lautet „Magister Ambrosius sacerdos et monachus Sancte Crucis.“[2], nennt aber leider nicht das Todesjahr. Dafür, daß dieses nicht vor dem Beginn der 1320erjahre liegt, lassen sich Gründe anführen, die weiter unten noch erwähnt werden.

Wer war Ambrosius von Heiligenkreuz?[3] Gewisse Bekanntheit erlangte der um die Wende des 13. zum 14. Jahrhundert gelebt habende Mönch des Zisterzienserklosters Heiligenkreuz in Niederösterreich durch einen Traktat, den er um 1306 über den angeblichen Korneuburger Hostienfrevel und die dabei vorgefallenen Wunder verfasste[4]. In Zusammenhang mit diesem Ereignis erfahren wir auch, daß er ein Studium des Kirchenrechts absolviert hatte – als Mitglied einer Kommission, die im Auftrag des zuständigen Diözesanbischofs Bernhard von Passau Zeugen der Korneuburger Vorgänge zu verhören hatte, wird er als magister Ambrosius de sancta cruce doctor decretorum bezeichnet.

Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, AUR 1305 XII 17, f. 1r (Bildquelle: Monasterium)

Vielleicht noch bemerkenswerter ist aber die Angewohnheit des Ambrosius, mit der Feder in der Hand zu lesen. In etwa 70 Heiligenkreuzer Handschriften (die sich zum Großteil heute noch in der Stiftsbibliothek und zu einem kleineren Teil in der Österreichischen Nationalbibliothek befinden) sind seine Lesespuren zu erkennen – von charakteristischen Paragraphenzeichen, Kreuzen und Strichen über Zeigehände und im Profil gegebenen Gesichtern bis zu Glossen, die von wenigen Worten bis zu längeren Texten reichen.

Eine Auswahl von Marginalien des Ambrosius von Heiligenkreuz

Diese Marginalien sind es auch, die seine namentliche Identifizierung erlauben. Die selbe Hand, die die Marginalien geschrieben hat, hat nämlich auch im Manuskript des Hostienfrevel-Traktats Anmerkungen eingetragen – und hier nennt sich der Schreiber an einer Stelle mit seinem Namen:

CCl 825, f. 159v oR: ₵ Anno Domini mille CCC. XIIo in quadragesima scribo ego frater Ambrosius istud in monasterio sancte Crucis quod accidit ante quinque annos ut puto sub duce Austrie Rudolpho filio Alberti regis Romanorum …

Ambrosius ist ein vielseitig interessierter Leser. Seine Marginalien finden sich in Handschrift mit Werken des Augustinus (Heiligenkreuz Cod. 24, Cod. 215), in den Collationes des Johannes Cassianus (Heiligenkreuz Cod. 62 und Cod. 250), in Werken des Bernhard von Clairvaux (z.B. Heiligenkreuz Cod. 221), in Innocenz’ III. De missarum mysteriis (Heiligenkreuz Cod. 261), im Messkommentar und Eucharistietraktat des pseudo-Albertus Magnus (Heiligenkreuz Cod. 22) und in der Heiligenkreuzer Überlieferung des Codex Udalrici (ÖNB Cod. 398) – um nur einige Beispiele zu nennen. Mit besonderem Interesse liest er Heiligenlegenden und Wunderberichte. Die vier Bände des Heiligenkreuzer Exemplars des Magnum Legendarium Austriacum (Heiligenkreuz Cod. 11, 12, 13 und 14) enthalten zahlreiche Anmerkungen von seiner Hand – allerdings nicht durchgängig, sondern nur neben ausgewählten Legenden. Ausführlich hat er auch die Heiligenkreuzer Handschrift des Liber visionum des Herbert von Clairvaux (Heiligenkreuz Cod. 177) annotiert.

Die Durchsicht der Handschriften auf Ambrosius-Marginalien ist noch nicht abgeschlossen. Im Iter Austriacum werden je nach Fortschritt der Sammlung gelegentlich Beispiele seiner Lesetätigkeit veröffentlicht werden. Hier soll vorerst nur noch ein Problem erwähnt werden. Vom ausgebildeten Kanonisten Ambrosius würde man eine intensive Beschäftigung mit juristischer Literatur erwarten. Tatsächlich bezieht sich Ambrosius in seinen Marginalien gelegentlich auf kanonistische Quellen. So berichtet ein Kapitel des Liber visionum des Herbert von Clairvaux ausführlich über den Erzbischof Eskil von Lund. Unter anderem hätte dieser einen Adeligen, der sich eines eherechtlichen Verstoßes schuldig gemacht hatte und trotz mehrfacher Ermahnung verstockt in seiner Verfehlung verharrte, „tandem ab ecclesia separatum cum tota domo sua anathematis sentencia perculit“ (f. 101va). Ambrosius merkt dazu an: „₵ hoc fecit contra Augustini sententiam xxiiii q. iii Si habes“ und zitiert damit Decretum Gratiani C. 24 q. 3 c. 1. In den beiden Handschriften des Decretum Gratiani, die sich heute in der Heiligenkreuzer Bibliothek befinden[5], sucht man seine Lesespuren aber vergeblich. Ebenso verweist Ambrosius neben Herberts Kapitel „De iudeo qui moriens se ipsum baptizauit“ auf eine einschlägige Dekretale im Liber Extra: „₵ de isto iudeo est facta decretalis. extra de baptismo. Debitum.“[6] Handschriften des Liber Extra sind für die mittelalterliche Heiligenkreuzer Bibliothek allerdings nicht nachweisbar – ebenso fehlen der Liber Sextus und die kanonistische Literatur des 13. Jahrhunderts, wie die Werke des Hostiensis, Innocenz IV. oder des Gulielmus Durandus (deren Kenntnis und Benützung durch Ambrosius sich aber in seinem Traktat über den Korneuburger Hostienfrevel nachweisen läßt). Einzig ein Exemplar der Clementinen war vorhanden, wurde aber zu einem unbekannten Zeitpunkt makuliert und ist heute nur mehr in einigen Fragmenten erhalten[7] – auf diesen finden sich tatsächlich zahlreiche Marginalien von der Hand des Ambrosius, die sich darum bemühen, den sehr schlechten Text zu verbessern und schließlich ein Gesamturteil zur Bedeutung des Werkes und zur Qualität der Überlieferung abgeben:

Heiligenkreuz, Stiftsbibliothek Cod. 100, Hinterdeckelspiegelblatt

„₵ Domine p(ate)r. in isto libro sunt multi laquei ( excommunicationum suspensionum interdictorum ( contra episcopos abbates prelatos et laicos ( oportet vos habere omnibus modis sed alium scribatis de veraci exemplari ( istud per omnia confusum est. ( alioquin nesciendo iste omnino in laqueum caderetis. ( A iurista aliquo petatis exemplar.“

Vielleicht war diese Beurteilung des Ambrosius letztlich auch dafür verantwortlich, daß der Codex makuliert wurde? Aber abgesehen von dieser Überlegung liefert uns die Tatsache, daß Ambrosius ein Exemplar der Clementinen annotiert hat, auch einen Terminus post quem für sein Todesjahr. Die Clementinen wurden durch Papst Johannes XXII. am 1. November 1317 in Avignon promulgiert. Es wird einige Zeit gedauert haben, bis der Text der Sammlung im österreichischen Raum zugänglich und für Ambrosius zur Lektüre verfügbar war. Daher ergibt sich, daß Ambrosius um 1319/1320 noch am Leben gewesen sein muß.

Vielleicht erlauben weitere Nachforschungen noch eine genauere Eingrenzung seines Todesjahres. Jedenfalls aber steht fest: Ambrosius von Heiligenkreuz ermöglicht uns durch seine umfassende Annotierungstätigkeit einen faszinierenden Einblick in das Denken und manchmal sogar Fühlen eines Mönchs des beginnenden 14. Jahrhunderts. Und dafür verdient er zumindest an seinem Todestag ein freundliches Gedenken …

 

[1] Gedruckt in Necrologia Germaniae V: Dioecesis Pataviensis pars altera: Austria inferior. Ed. Albert Franz Fuchs (MGH Necrologia Germaniae 5, Berlin 1903). Wegen der sehr ausführlichen Einleitung immer noch wertvoll ist die etwas ältere Edition durch Heinrich Ritter von Zeissberg, Das Todtenbuch des Cistercienser-Stiftes Lilienfeld in Österreich unter der Enns (Fontes rerum Austriacarum II/41, Wien 1879) – Digitalisat im Internetarchive.

[2] ed. Fuchs S. 380, online hier.

[3] Den Aufsatz Christoph Egger, Reading, thinking and writing in Heiligenkreuz. Manuscript traces of an early fourteenth-century monastic intellectual, in: Les Cisterciens et la transmission des textes (XIIe-XVIIIe siècles). Ed. Thomas Falmagne, Dominique Stutzmann, Anne-Marie Turcan-Verkerk avec la collaboration de Pierre Gandil (Bibliothèque d’histoire culturelle du Moyen Âge 18, Turnhout 2018) 437-452 darf ich aus Gründen des Urheberrechts (das die Verlage mehr schützt als die tatsächlichen Urheber) leider hier nicht online stellen. Nichts verbietet allerdings den privaten kollegialen Austausch von Sonderdrucken – ich bitte gegebenenfalls um eine Nachricht per Email.
Bereits in Kenntnis der (2014 abgegebenen) Manuskriptfassung dieses Aufsatzes ist Ambrosius erwähnt in: Martin Wagendorfer, Einige Überlegungen zur „Madalwin-Urkunde“ des Jahres 903, in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 61 (2015) 39-54.

[4] Eine Edition des Traktats, der in Klosterneuburg, Stiftsbibliothek CCl 825 überliefert ist, bereitet Winfried Stelzer vor. Von ihm stammt auch ein ausführlicher Artikel über Ambrosius und den Korneuburger Hostienfrevel: Winfried Stelzer, Am Beispiel Korneuburg: Der angebliche Hostienfrevel österreichischer Juden von 1305 und seine Quellen, in: Österreich im Mittelalter. Bausteine zu einer revidierten Gesamtdarstellung. Vorträge des 16. Symposions des Niederösterreichischen Instituts für Landeskunde, Puchberg am Schneeberg … 1996 (Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 26, St. Pölten 1999) 309-347.

[5] Cod. 43 und Cod. 44 – wann diese beiden Handschriften nach Heiligenkreuz gelangt sind, ist unbekannt.

[6] X 3.42.4; Cod. 177 f. 103rb.

[7] Die Clementinen-Fragmente sind ausführlich im oben Anm. 3 zitierten Aufsatz behandelt.

Veröffentlicht unter Marginalien | Verschlagwortet mit , , , , , | Kommentare deaktiviert für Ein Gedenktag: Ambrosius von Heiligenkreuz

Tagungsankündigung: Was wäre die Bibliothek ohne Bibliothekare? Die Wiener Hofbibliothek im Spannungsfeld von Macht und Öffentlichkeit

Am 30. November 1909 besucht Kaiser Franz Joseph eine Ausstellung von Habsburger-Zimelien im Prunksaal der Hofbibliothek (farbige Heliogravüre nach Aquarell von Josef Schuster; Wien, ÖNB, Bildarchiv, PK 1302, 19)

Fürstenbibliotheken sind nicht nur Bühne herrscherlicher Selbstdarstellung, Repräsentation und Wissensverwaltung, sondern auch Orte des Sammelns und Ordnens. Sehr oft waren sie überdies Knotenpunkte gelehrter Netzwerke und Zentren wissenschaftlicher Forschung. Zwischen all diesen Ansprüchen steht die Person des Bibliothekars – als Fachmann, Fürstendiener, Forscher und Gelehrter hatte er vielfältigen Ansprüchen zu genügen, die von der Erledigung rein administrativer Angelegenheiten über die Bewältigung bibliothekstechnischer Probleme bis zur Tätigkeit als Ratgeber des Fürsten und gefragtes Mitglied der Gelehrtengesellschaft reichen konnten.
Am Beispiel ausgewählter Bibliothekare der Wiener Hofbibliothek – von ihrem ersten Präfekten Hugo Blotius bis zu Theodor Gottlieb, der in den letzten Jahren der Monarchie als Kustos tätig war – will die Tagung Ansprüche, Handlungsspielräume und Lebenswirklichkeit der Bibliothekare darstellen und so das Jubiläumsjahr der Österreichischen Nationalbibliothek von der Seite prägender Akteure beleuchten.

Die Tagung, die am 19. und 20. November 2018 in Wien stattfindet, wird organisiert vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung (Universität Wien) und von der Abteilung Byzanzforschung des Instituts für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit dem Balassi Institut, Collegium Hungaricum Wien und der Österreichischen Nationalbibliothek.

Das genaue Programm kann hier abgerufen werden.

Veröffentlicht unter Bibliotheksgeschichte | Verschlagwortet mit , , | Kommentare deaktiviert für Tagungsankündigung: Was wäre die Bibliothek ohne Bibliothekare? Die Wiener Hofbibliothek im Spannungsfeld von Macht und Öffentlichkeit

CfP: Text as object in the Middle Ages (Leeds, IMC 2019)

Text as object in the Middle Ages

Call for Papers – Leeds International Medieval Congress
1-4 July 2019, Leeds

The International Medieval Congress (IMC) is the largest medieval studies conference in the world. More than 2,900 medievalists from more than 60 countries participated in the 25th annual International Medieval Congress (IMC) from 2-5 July 2018.

In line with the Special Thematic Strand in 2019 „Materialities“ (https://www.leeds.ac.uk/ims/imc/imc2019_call.html) and the recent creation of the strand „Manuscript studies“, we organize sessions on „Text as object in the Middle Ages“. Texts, indeed, are at the same time an idea and a form. The latter is the result of a combination of inherited social uses and specific intentions by the various actors involved in transmitting the text as idea. This process begins with the authors, continues to the craftsmen (parchment and paper makers, copyists and chancery clerks, painters and illuminators, sculptors and weavers, booksellers…) and then on to possessors, readers, archives and libraries. All textual artefacts are concerned: manuscripts, charters, inscriptions, tapestries, seals, coins, etc.

What scholars can study nowadays is however only one specific, if not final, state of those manuscripts, documents and inscriptions, from which they seek to reconstruct the respective intents of the actors. Under the topic „Text as object in the Middle Ages“, we intend to study the interplay of the original creation act, the possible transformations, and modern scholarship, especially along the following lines: „archaeology of a research concept“, „materiality in scholarly editions“, „genre and materiality“, „fragments“, „imaging techniques and physicochemical analysis“

–          Archaeology of a research concept: awareness of materiality in the 15th-19th centuries

Medieval library catalogues started including dictiones probatoriae or secundo folio as identifiers of a given manuscript as object rather than as the bearer of a text; additional information on the physical appearance could also be indicated (size of the script, illumination, …). Cartularies and registers, but also inventories, sometimes include a description of the original charter, be it in a text form, be it as a  drawing („copie figurée“), also for elements which are no validation signs. These are early examples of an awareness of material aspects in textual artefacts.  „materiality“ as a term is rather new in historiographical research, however there is a complex archaeology of this research concept applied to texts. Starting in the Middle Ages, it became more prominent with the rise of the „auxiliary sciences“ such as palaeography and diplomatics in the 17th and 18th century which were very much focused on the material aspects of written objects. By the 19th century it found its way into the bibliographic descriptions, either in a scholarly environment or in auction and sales catalogues as part of a bibliophilic interest.

This pre-historical time of „materiality“ as a research concept is not well known. We welcome proposals dealing with examples of a „material“ approach to manuscripts and documents in medieval and early modern times, and evidencing the consequences of this past material concern on modern scholarship (e.g. identification of well described manuscripts in past collections vs. apparently lost collections).

–          Materiality in Scholarly Editions

When doing editorial work, scholars may take the materiality of the text into account and either decide to discard their observations or communicate them to the user. From imitative, so-called „diplomatic“ editions to very normalizing ones, several models coexist depending on editorial goals, national traditions, text genres, or witness tradition with regard to the nature of the textual work. Discussions of former editions and practices are welcome, as well as proposals discussing the current developments in scholarly editions. This could include reflections on the tensions resulting from tight schedules due to fixed-term contracts and the ideal of exhaustive material description and analysis.

–          Genre and materiality: literary genre and their influence on layout, decoration, and scripts

The connection between text and object is reflected by specific requirements for the written object in the fields of diplomatics, epigraphy, codicology (layout, material structure), art history (iconography, decoration), and palaeography (script types, abbreviations, script size and degree of formality).

Recurrent patterns in book production have already been identified, such as books of hours and prayers for lay people being small in size, illustrated, and written in long lines, or genealogies and universal histories being written in scroll format in order to stress the continuity. There are also illuminators working mainly in the production of one or two literary genres, for whom it is not always possible to ascertained if it is a consequence of being hired by one librarian or if they specialized into specific iconographic types. Illuminated charters as a category may also be connected with specific conditions in their creation.

Connexions between script types and text genres also may be a medieval reality uncovered by modern research (Beneventan/Caroline scripts depending on genres) or a historiographical construct (such as the misleading „gothic liturgical script“ or Uncial as Christian script). In this regard, cultural divide and contact zones (Beneventan, Wisigothic vs. Caroline; Humanistic vs. Gothic) deserve special attention, as well as a further study of „pragmatic literacy“ under the pragmatic aspect of writing.

Medieval autographs form a cross-genre domain, in which the intervention of the author may provide modern scholars with additional information. Yet, only a reciprocal analysis of text and handwriting in their context should allow the expertise of autography. Theoretical proposals and case studies demonstrating how material (here mainly palaeographic) and textual inquiries interact are welcome.

Papers could focus on new results within these known patterns or new connections between text and materiality.

–          Fragments and damaged text objects: an ex post decided layout and format definition

Fragments are a challenging form to study manuscripts both as texts and objects. They pose specific challenges for the identification of the textual contents as well as the objects‘ origin and life. Proposals may present innovative tools and projects, as well as scholarly research based on virtual or physical reconstruction of dismembered or fragmentary text objects. The organizers particularly welcome proposals dealing with the fragment as source for the broader historical context (e.g. textual history, reception and cultural transfers).

–          Imaging techniques and physicochemical analysis of medieval text objects

The material analysis is not a new field any more. Imaging techniques available for manuscript research include those based on physicochemical properties (multispectral, X-ray fluorescence, etc.) as well as those that allow a better perception of the object (Reflectance Transformation Imaging, 3D scan). Recent technological advances now allow a better coordination of textual studies,imaging and physicochemical research. Examples include the Archimedes palimpsest, the manuscripts from Mount Sinai or the rolls from Herculanum and Ein Gedi. For this session we expect proposals illustrating how material analyses or imaging techniques can reveal hidden or illegible text layers and therefore have a direct impact on our understanding of the textual content and its history.

Papers of 20 minutes in length are invited. To propose a paper, please send a brief abstract (250 words max) to

The deadline for receipt of submissions is 25th September 2018.

Veröffentlicht unter Leeds 2019 | Verschlagwortet mit , , , , , | Kommentare deaktiviert für CfP: Text as object in the Middle Ages (Leeds, IMC 2019)

olim Admont

Die Auflistung der Handschriften der Stiftsbibliothek Admont auf manuscripta.at enthält auch für die zahlreichen in der Zwischenkriegszeit verkauften Handschriften Angaben zu den aktuellen Aufbewahrungsorten, soweit diese bekannt sind. Bei der Vorbereitung meines Vortrages für die Tagung „Klösterliche Handschriften- und Buchverkäufe in der Zwischenkriegszeit“, die am 16. und 17. April 2018 in Wien stattfindet, bin ich nun auf einige ehemals Admonter Codices gestoßen, für die man sich bisher mit der Angabe „Verbleib unbekannt“ begnügen mußte.

Zunächst aber eine sehr erfreuliche Aktualisierung der Liste, die ich einer Mitteilung von Christopher de Hamel verdanke: Admont besaß eine beachtliche Anzahl romanischer Blindstempeleinbände, von denen sich heute nur noch Cod. 415 im Kloster befindet. Unter den verkauften Bänden ist Cod. 413 (Beschreibung im Katalog von Jakob Wichner), der – wie auch viele andere Handschriften des Klosters – 1935 von Ernst Philipp Goldschmidt erworben wurde; er gelangte im selben Jahr in den Besitz von John Henry Montagu Manners, 9th duke of Rutland und befand sich bis 2005 im Besitz der Familie in Belvoir Castle (bei Grantham), wo der Codex so gut wie unzugänglich war[1].

Belvoir Castle (Ct. Rutland, England) (Photo Jerry Gunner/Wikipedia, CC BY 2.0)

2006 konnte das British Library die Handschrift als Ablöse für Erbschaftssteuer erwerben; sie trägt nun die Signatur Add. MS 82947 und ist vollständig digitalisiert.

London, British Library, Add. MS 82947 (olim CAd 413), Vorderdeckel

 

Folgende Handschriften, für die auf manuscripta.at [eingesehen am 15.4.2018] kein aktueller Aufbewahrungsort angegeben ist, sind nun ebenfalls lokalisierbar:

CAd 401 (Wichner)
gehört zu den von E. P. Goldschmidt erworbenen Handschriften; sie ist seit 1936 in der Bodleian Library in Oxford, MS. Lat. hist. e. 1.

CAd 439 (Wichner)
Für diese Handschrift ist zutreffend Oxford als Aufbewahrungsort angegeben; allerdings ist die Signatur der Bodleian Library zu korrigieren: sie lautet richtig MS. Lat. misc. d. 68. Auch diese Handschrift wurde 1936 von E. P. Goldschmidt erworben.

CAd 478 (Wichner)
Der Codex wurde 1938 an das Antiquariat Brecher in Brünn verkauft; 1951 verkaufte der Antiquar William H. Allen in Philadelphia die Handschrift an die dortige University of Pennsylvania Library, wo sie in der Medieval and Renaissance Manuscripts Collection als Ms. Codex 615 (eine ältere Signatur lautete Ms lat. 26) verwahrt wird. Die Handschrift, die einen interessanten Pergamenteinband trägt, den Planctus naturae des Alanus von Lille überliefert und 1365 von einem Johannes de Polna geschrieben wurde, ist vollständig digitalisiert[2].

f. 54v mit Schreibervermerk und dem oft überlieferten Epitaphium Alani (Walther, Initia Nr. 727)

CAd 637 (Wichner)
Die Handschrift wurde durch die Bodleian Library 1936 von E. P. Goldschmidt erworben und trägt heute die Signatur MS. Lat. misc. d. 66.

Eine Ergänzung ist schließlich zu CAd 712 (Wichner) anzubringen: dieser Codex befindet sich auch heute noch in Admont, allerdings vermindert um die fol. 119-126, die aus der Handschrift herausgelöst wurden. Die Blätter enthalten eine Überlieferung der Gesetze König Stephans I. von Ungarn und befinden sich seit 1935 als Cod. lat. 433 in der Széchény Bibliothek in Budapest.

 

[1] Vgl. etwa Friedrich Adolph Schmidt-Künsemüller, Die abendländischen romanischen Blindstempeleinbände (Stuttgart 1985) 122 Nr. 70: „Die Beschreibung dieses Einbandes ist unvollständig, da es nicht möglich war, nähere Angaben und ein Foto des Vorderdeckels zu erhalten.“ Auch ich habe mehrere vergebliche Versuche unternommen, die Handschrift einsehen zu dürfen.

[2] Die online verfügbare Beschreibung nennt die Admonter Provenienz nicht, die aber wegen des auf dem Rücken aufgeklebten alten Signaturenschildes unzweifelhaft ist; die Angabe „Formerly owned by Z(entral-) Stelle f(ür) Denkmalschutz“ ist irrig; der Stempel im Hinterdeckel bezieht sich auf die Erteilung der Ausfuhrbewilligung durch das Österreichische Bundesdenkmalamt.
Update 2.9.2018: Die Onlinebeschreibung im Katalog ist aktualisiert; hier gibt es einen von Amey Hutchins (Manuscripts cataloging librarian at the Schoenberg Institute for Manuscript Studies) verfaßten Blogbeitrag über die Identifizierung der Handschrift.

Veröffentlicht unter Bibliotheksgeschichte | Verschlagwortet mit , , , , , | Kommentare deaktiviert für olim Admont

Hohenfurth, Emil Hirsch und Otto Ege

Passend zur Tagung „Klösterliche Handschriften- und Buchverkäufe in der Zwischenkriegszeit“, die am 16-17. April in Wien stattfindet, beschäftigt sich dieser Blogeintrag mit Verkäufen aus dem Stift Hohenfurth/Vyšší Brod und, im Zusammenhang damit, mit der Provenienz eines Otto-Ege-Leafs.

In zwei ausführlichen Blogeinträge hat sich Peter Kidd mit der Provenienz der Handschrift beschäftigt, die als Blatt Nummer 2 für das berühmtem „Fifty Original Leaves of Medieval Manuscripts“ Portfolio von Otto Ege zerschnitten wurde und als „12th-century Cistercian Missal“ bezeichnet wird (eher 13. Jh.). Nachdem die Handschrift zunächst Frankreich oder Spanien zugeschrieben worden war, wies sie Christopher de Hamel zuletzt aufgrund eines neu zugewiesenen Blattes mit figürlicher Dekoration Österreich zu.

Kidd  weist nun auf eine ausführliche Beschreibung der kompletten Handschrift in einem undatierten Katalogs (wohl Ende der 1920er Jahre) des Antiquariats Emil Hirsch aus München hin (Nr. 17 des Katalogs mit Tafel VII)[1]. Er schließt seinen Beitrag mit folgender Bemerkung:

“It is suggestive, but probably no more than a coincidence, that Hirsch owned two other manuscripts now at the British Library, both from Cistercian houses in southern Germany or Austria: Hirsch III.606, of unknown precise provenance, and Hirsch III.943, which may have been written in 1191 for the Abbey of Wilhering, a little west of Linz, and was later at the Cistercian abbey of Hohenfurt in Southern Bohemia, now Vyšší Brod in the Czech Republic, a little north of Linz.”

Zunächst ist klarzustellen, dass es sich bei den Handschriften in der British Library vorrangig um Bände aus dem Besitz von Paul Hirsch, einem deutschen Musikwissenschaftlerund Sammler von Büchern über Musik, und nicht von Emil Hirsch, dem oben genannten Antiquar handelt. Aus der Hirsch-Collection der BL wurde die von Kidd genannte Handschrift  Hirsch III.934 aber tatsächlich von Emil Hirsch an Paul Hirsch verkauft. Sie findet sich als Nr. 14 im oben genannten Katalog.  Dieses Missale, dessen Buchschmuck Friedrich Simader einen Beitrag gewidmet hat[2], ist schon länger als Codex CXII des Zisterzienserkloster Hohenfurth/Vyšší Brod identifiziert[3].

Otto Ege und Hohenfurth?

Nach diesem ersten Hinweis auf die Handschriftenprovenienz lassen sich nun rasch noch mehrere andere Handschriften im Katalog von Emil Hirsch finden, die offensichtlich aus der Hohenfurth/Vyšší Brod stammen (siehe unten). Was lässt sich  aber über das Missale sagen, das von Otto Ege zerschnitten wurde?

Die Handschrift zeichnet sich durch eine Kreuzigungsszene aus, in der die Jungfrau Maria Blut aus der Seite Christi in einem Kelch sammelt. Auf der anderen Seite des Kreuzes ist ein Schwert abgebildet, neben dem Johannes mit einem Buch steht.

Abbildung zur Nr. 17 im Katalog von Emil Hirsch

Unter den Handschriften von Hohenfurth/Vyšší Brod findet sich für Cod. CXXXIV der folgende Eintrag:

Beschreibung von Cod. CXXXIV von Raphael Pavel

Diese Beschreibung des Bildschmucks im Katalog von Raphael Pavel macht es sehr wahrscheinlich, dass es sich dabei um das gesuchte Zisterziensermissale handelt und auch die Blattanzahl von 173 Blatt stimmt in beiden Beschreibungen überein. Hinweise auf die nachgetragene Missa de s. Bernardo finden sich jedoch in den Auktionskatalogen nicht.

Zu Cod. CXXXIV existiert jedoch noch eine weitere Beschreibung, die im Katalog der illuminierten Handschriften von Hohfenfurt von  Antonín Friedl aus dem Jahr 1968 abgedruckt wurde (S. 26 Nr. 16)[4]:

Beschreibung von Cod. CXXXIV von Antonín Friedl

Friedl beschreibt hier den Buchschmuck ausführlicher und gibt die Größe der Handschrift mit 35 x 25 cm an. Im Auktionskatalog von Hirsch wird eine Größe von 350 x 234 mm erwähnt, die zumindest in der Höhe exakt mit der Hohenfurther Handschrift übereinstimmt, wenn auch die Breite etwas geringer ist.

Der Eintrag geht auch auf den mittelalterlichen Einband der Handschrift ein. Da die Beschreibung des Einbandes im Ausktionskatalog und auch in den anderen von Peter Kidd genannten Publikationen jedoch nur vage bleibt, ist hier keine eindeutige Identifizierung möglich. Jedoch wird in allen Beschreibungen ein mittelalterlicher Einband erwähnt.

Von Interesse ist der Hinweis zur Geschichte der Handschrift am Ende der Beschreibung Friedls: Im Jahr 1945 fehlte sie in der Bibliothek. Schon in der Einleitung erwähnt Friedl eine Reihe Hohenfurther Handschriften, die zwischen 1945-1950 die Bibliothek verließen, unter ihnen auch Cod. CXXXIV. Die Beschreibung beruht offensichtlich früheren Arbeiten des Autors, der schon seit den 1920er Jahren zu Buchmalerei publizierte. Es spricht damit also nichts dagegen, dass die Handschrift bereits vor dem zweiten Weltkrieg abhandenkam und daher im Auktionskatalog von Emil Hirsch erwähnt werden kann.

In Summe kann trotz der fehlenden Abbildungen in den Hohenfurther Katalogen daher sicher angenommen werden, dass es sich bei Cod. CXXXIV um die Quelle der Blätter Nr. 2 aus dem Konvolut „50 Leaves“ von Otto Ege handelt. Damit bestätigt sich nun auch eine Vermutung Peter Kidds, der angesichts eines Nachtrags zum Fest des Hl. Wenzel in der Handschrift schreibt:

the missal is currently attributed to Austria; perhaps we should be looking to the far north of the present-day country, and into what is now the Czech Republic.

Liste von Handschriften aus Hohenfurth/Vyšší Brod bei Emil Hirsch

Was nun die anderen Handschriften im Auktionskatalog von Emil Hirsch betrifft, soll die folgende Tabelle Hinweise auf eine Hohenfurther Provenienz geben, soweit sie mir ersichtlich war bzw. ohnehin aus der Literatur bekannt ist. Sie gibt neben den Katalognummern der schon genannten Kataloge von Pavel und Friedl auch die Nummer in einer Abschlussarbeit von David Michal Říha zu den illuminierten Handschriften von Hohenfurth aus dem Jahr 2006 an[5]. Zusätzlich wird auf eine Liste der in Hohenfurth fehlenden Handschriften im Ergänzungskatalog von Bohumil Ryba von 1980 verwiesen (dort S. VI)[6]. Der Eintrag „(fehlt)“ weist darauf hin, dass die jeweiligen Autoren die Handschrift im Katalog als fehlend vermerkten. Die heutigen Aufenthaltsorte wurden nicht ausführlich recherchiert, sodass hier sicher noch Ergänzungen zu machen sind.

Es wird deutlich, dass offensichtlich nicht alle Handschriften, die im Katalog von Emil Hirsch aufscheinen, auch tatsächlich verkauft wurden. Ob sie allerdings heute noch immer vor Ort sind, muss erst nachgeprüft werden.

Katalognr. Hirsch Katalognr.

Pavel

Katalognr.

Friedel

Fehlend bei Ryba Katalognr.

Riha

Heutiger Aufenthaltsort
1 XCIV 15 (fehlt) ja 15 (fehlt)
2 CLVI 17 nein III/3b Hohenfurth?
3 CLVIII 17 nein III/3c Hohenfurth?
7 LXXXI nicht im Katalog ja nicht im Katalog Princeton University Library, MS Garrett 70
9 CXLV 34 ja 33 (fehlt)
11 XXVIII nicht im Katalog nein nicht im Katalog Hohenfurth?
13 CXLIX 38 ja 37 (fehlt) Knihovna národního muzea v Praze

Idno: XVIII B 35

14 CXII 8 (fehlt) Ja 8 (fehlt) British Library, Hirsch III.934
15 LVII 20 nein 19 Hohenfurth?
16 LXXV 2 (fehlt) ja 2 (fehlt) Chicago, Newberry Library, Cod. +7
17 CXXXIV 16 (fehlt) ja 16 (fehlt) Otto Ege Leaf Nr. 2
18 CXXIII 27 (fehlt) nein 26 Hohenfurth?
19 CLII? 48 (fehlt) ja 47 (fehlt)
20 CXXXVIII 18 ja 17 (fehlt) Getty Museum, Ms. Ludwig XIII 1
25 CXLIII 19 ja 18 (fehlt)

 

[1] Valuable Manuscripts of the middle ages. Mostly illuminated. Antiquariat Emil Hirsch (München, undatiert) online.

[2] Friedrich Simader, Ein vermeintliches „Missale Salisburgense“ der British Library. Codices Manuscripti, 48/49 (2004) 7-12.

[3]  Raphael Pavel, Beschreibung der im Stifte Hohenfurt befindlichen Handschriften, in: Die Handschriften-Verzeichnisse der Cistercienser-Stifte, Bd. 2: Wilhering, Schlierbach, Osegg, Hohenfurt, Stams (Xenia Bernardina II,2, Wien 1891) 165-461, hier 205.

[4] Antonín Friedl, Iluminované rukopisy vyšebrodské (České Budějovice 1967) online, hier 26 Nr. 16

[5] David Michal Říha, Základní fond středověkých rukopisů v cisterciáckém klášteře ve Vyšším Brodě (Prag 2006) online.

[6] Bohumil Ryba, Soupisy rukopisů a starých tisků do roku 1800 z fondů Krajské knihovny v Českých Budějovicích II/1–2. Rukopisy kláštera ve Vyšším Brodě. Dodatek (České Budějovice 1980) online.

Veröffentlicht unter Bibliotheksgeschichte, Itinera alia | Verschlagwortet mit , , , | Kommentare deaktiviert für Hohenfurth, Emil Hirsch und Otto Ege